Die jüngsten extremen Überschwemmungsschäden in vielen Bereichen von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Bayern werfen für zahlreiche Geschädigte und (soweit einstandspflichtig) für Versicherer möglicherweise auch schwierige Rechtsfragen auf. Lassen sich die Ursachen der Schäden pauschal auf ein „Jahrhundertereignis“ als „höhere Gewalt“ zurückführen? War der jeweilige lokale Überschwemmungsschutz ausreichend? Wer trägt ggf. die Verantwortung für die entstandenen Schäden?
Haftung von Kommunen für Überschwemmungsschäden – Ansprüche auch bei „Jahrhundertereignissen“?
23. July 2021
In der Rechtsprechung sind Überschwemmungsschäden seit vielen Jahren immer wieder thematisiert worden. Es ist anerkannt, dass insbesondere Kommunen, etwa im Zusammenhang mit der Bauleitplanung, amtshaftungspflichtig sein können, wenn Maßnahmen zur Vermeidung derartiger Schäden pflichtwidrig unterblieben sind. Eine entscheidende Rolle spielen hier namentlich die ordnungsgemäße Dimensionierung der Kanalisation und die individuelle Berücksichtigung örtlicher Besonderheiten im Rahmen der Bauleitplanung und Genehmigungspraxis.
Programmatisch heißt es dazu unter BGH, Urteil vom 18. Februar 1999 – III ZR 272/96 –, BGHZ 140, 380-390 für eine Bebauungsplanung in Hanglage:
„Die Sammlung und Beseitigung der Abwässer in einer Gemeinde ist eine öffentliche Einrichtung und obliegt der Gemeinde als hoheitliche Aufgabe. Für Fehler bei der Planung, der Herstellung und dem Betrieb einer solchen Anlage, die nicht nur dem allgemeinen Interesse dient, sondern auch die Anlieger und Nutzer im Rahmen des Zumutbaren vor Überschwemmungsschäden schützen soll, hat die Gemeinde daher nach Amtshaftungsgrundsätzen einzustehen (..). Auch unter dem Gesichtspunkt des Hochwasserschutzes und der Verkehrssicherung ist die Gemeinde verpflichtet, die Wohngrundstücke im Rahmen des Zumutbaren vor den Gefahren zu schützen, die durch Überschwemmungen auftreten können (…)
Der Senat hat mehrfach darauf hingewiesen, daß es bei der Planung und Dimensionierung eines Entwässerungssystems entscheidend auf die tatsächlichen Verhältnisse, namentlich in abwasserwirtschaftlicher und abwassertechnischer sowie topographischer Hinsicht, ankommt (…)
Allgemeine Regeln, etwa im Hinblick auf einen bestimmten "Berechnungsregen" oder eine bestimmte "Einstauhäufigkeit" sind dann nicht maßgebend, wenn im konkreten Fall bestimmte Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß ein darauf zugeschnittenes Ableitungssystem außerstande ist, das anfallende Wasser nicht nur in seltenen Ausnahmefällen, sondern darüber hinaus auch bei häufigeren, auch im Rahmen einer generalisierenden Betrachtungsweise zu berücksichtigenden Anlässen zu bewältigen (…). Daß die Gemeinden andererseits nicht verpflichtet sind, eine Regenwasserkanalisation einzurichten und zu unterhalten, die alle denkbaren Niederschlagsmengen bewältigen kann, und daß wirtschaftliche Gründe jede Gemeinde dazu zwingen, das Fassungsvermögen einer Regenwasserkanalisation nicht so groß zu bemessen, daß es auch für ganz selten auftretende, außergewöhnlich heftige Regenfälle ausreicht, hat der Senat stets betont. Insbesondere ist eine Dimensionierung im Hinblick auf katastrophenartige Unwetter, wie sie erfahrungsgemäß nur in sehr großen Zeitabständen vorkommen, nicht erforderlich (…).
Auch wenn - wie das Berufungsgericht feststellt - eine Auswertung der amtlichen Wetterstatistiken ergibt, daß es sich hier um ein Regenereignis gehandelt hat, das nur alle 20 bis 50 Jahre auftritt, rechtfertigt dies seine Beurteilung (= Abweisung der Klage auf Schadensersatz wegen Amtshaftung) nicht ohne weiteres. Vielmehr wird es zusätzlich prüfen müssen, ob die von der Beklagten ursprünglich vorgesehenen, später aber nicht ausgeführten Entwässerungsmaßnahmen wirtschaftlich zumutbar waren und dazu geführt hätten, das hier in Rede stehende Regenereignis schadlos abzuführen. Darüber hinaus bedarf auch der Prüfung, ob die im Anschluß an dieses Schadensereignis vorgenommenen Änderungen am M.-Weg und andere wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen wie etwa eine Verwallung zum B.-Weg - gegebenenfalls in Verbindung mit einer größeren Dimensionierung der Kanalisation - den Schadenseintritt hätten vermeiden können. (…)“
Waren die sintflutartigen Regenfälle in der vergangenen Woche in diesem Sinne ein „katastrophenartiges Unwetter“, wie es „erfahrungsgemäß nur in sehr großen Zeitabständen“ vorkommt? Mit dem gerne bemühten Begriff des „Jahrhundertereignisses“ hatte sich der BGH schon in der Entscheidung BGH, Urteil vom 28. Januar 1982 – III ZR 111/80 –, MDR 1982, 734, befasst. Danach reicht es für einen anspruchsausschließenden Verweis auf ein „katastrophenartiges Unwetter“ nicht aus, sich auf abstrakte statistische Betrachtungen für wie auch immer geartete Zeiträume und eine daraus abgeleitete Unwahrscheinlichkeit eines extremen Niederschlages zu beschränken; unabhängig davon dürfte nach der zuvor zitierten Rechtsprechung vielmehr stets auch ergänzend kritisch zu hinterfragen sein, ob und welche weitergehenden Entwässerungsmaßnahmen vor Ort im Einzelfall in Betracht kamen und inwieweit diese später entstandene Schäden vermieden hätten. Dies betrifft insbesondere Bauleitplanungen und Genehmigungen für gewässernahe Grundstücke, Tallagen sowie die nachweislich auskömmliche Dimensionierung und Instandhaltung der gemeindlichen Entwässerungseinrichtungen.
Es bleibt zu hoffen, dass diesbezügliche rechtliche Auseinandersetzungen durch die von politischer Seite bereits angekündigten großzügigen Entschädigungsleistungen weitgehend vermieden werden können. Soweit dies nicht gelingt, kann es sich allerdings für Kommunen wie für Geschädigte und Versicherer gleichermaßen lohnen, in Betracht kommende Amtshaftungsansprüche genauer zu prüfen. Für die Beantwortung diesbezüglicher Fragen steht unsere Praxisgruppe Öffentliches Recht zur Verfügung.
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