Neben der Rechtsformwahlfreiheit, die seit der großen BRAO-Reform umgesetzt wurde, ist der letzte verbliebende große Zankapfel des anwaltlichen Berufsrechts das sogenannte Fremdbesitzverbot. Bereits seit vielen Jahren wird eine erbitterte Debatte darüber geführt, ob sich Dritte – mithin nicht-Freiberufler – an Anwaltskanzleien als Gesellschafter beteiligen können sollen. Insbesondere die BRAK vertritt hier eine sehr restriktive Auffassung, zumal auch im Rahmen der großen BRAO-Reform, die am 01.08.2022 in Kraft getreten ist, keine Liberalisierung hinsichtlich des sog. Fremdbesitzverbotes erfolgt ist.
Gestützt wird dies augenscheinlich durch eine Umfrage des BMJ, in welcher sich von 7.598 Teilnehmern 62,6 % gegen eine Abschaffung des Fremdbesitzverbots aussprechen. Jedoch leidet diese Umfrage bereits an grundlegenden methodischen Mängeln, sodass weder sichergestellt wurde, dass Teilnehmer nicht mehrfach abgestimmt haben, noch wurde sichergestellt, dass tatsächlich Juristen bzw. Rechtsanwälte befragt worden sind. Die Angabe, dass 93,5 % der Teilnehmer Rechtsanwälte und 6,6 % Patentanwälte waren, resultiert ausschließlich aus den Angaben der Teilnehmer, die nicht überprüft wurden (auch nicht stichprobenartig).
Dies könnte sich aber nun ändern. In dem anhängigen Fall geht es um die rechtliche Frage, ob eine österreichische Gesellschaft (Halmer UG), die nicht zur Rechtsberatung zugelassen ist, einen Anteil am Gesellschaftskapital einer in Deutschland tätigen Rechtsanwaltsgesellschaft erwerben darf. Die Rechtsanwaltskammer München (RAK München) hatte diesen Erwerb untersagt, da sie ihn als unvereinbar mit dem deutschen Berufsrecht ansah. Diese Entscheidung führte zu einem Rechtsstreit, der dem Bayerischen Anwaltsgerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde.
1. Hintergrund und rechtlicher Rahmen
Der Streitfall beruht auf den Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) in der bis zum 31. Juli 2022 (mithin vor der großen BRAO-Reform) geltenden Fassung, wobei v.a. die Vorschriften der §§ 59a ff. BRAO im Fokus standen. Diese Normen sollen die Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufsausübung sicherstellen, indem sie die Beteiligung von Personen an Rechtsanwaltsgesellschaften einschränken, sofern diese keine ausgewiesenen Rechtsanwälte sind. Das Hauptanliegen besteht darin, eine derartige Beteiligung zu verhindern, da eine solche u.U. die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte beeinträchtigen könnte.
2. Argumente der Beteiligten
Die RAK München führte das Argument an, dass die Beteiligung einer nicht zur Rechtsberatung zugelassenen Gesellschaft einen bedeutenden Einfluss auf die Entscheidungsfindung der Rechtsanwaltsgesellschaft haben könnte. Eine solche Beteiligung könnte die Unabhängigkeit der Anwälte gefährden (vgl. § 43a Abs. 1 BRAO). Auf der anderen Seite wurde argumentiert, dass die Untersagung der Beteiligung eine unzulässige Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und der Niederlassungsfreiheit gemäß den Bestimmungen der EU-Richtlinie 2006/123/EG darstellen könnte.
3. Schlussanträge des Generalanwalts
Der Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona stellte in den Schlussanträgen (Schlussanträge vom 04.07.2024 – C-295/23) fest, dass es im Wesentlichen darum ginge, eine Balance zwischen der Sicherstellung der Unabhängigkeit der Rechtsanwälte und der Wahrung des freien Kapitalverkehrs zu finden. Dabei seien verschiedene Aspekte zu berücksichtigen:
a) Freier Kapitalverkehr und Niederlassungsfreiheit:
Die Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt soll den freien Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit fördern. Der Generalanwalt betonte, dass jede Beschränkung dieser Freiheiten gerechtfertigt sein muss und verhältnismäßig sein sollte, um die Prämisse der Unabhängigkeit der Rechtsanwälte zu gewährleisten.
b) Unabhängigkeit der Rechtsanwälte:
Die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte ist Grundpfeiler und Handlungsmaxime des anwaltlichen Berufsrechts. Es ist entscheidend, dass Rechtsanwälte ohne ungebührlichen Einfluss von außen praktizieren können. Dabei ist insbesondere der Einfluss von nichtanwaltlichen Gesellschaftern zu beschränken, da diese möglicherweise entgegenlaufende Interessen verfolgen können.
c) Verhältnismäßigkeit der Beschränkungen:
Der Generalanwalt stellte in Frage, ob die auferlegten Beschränkungen verhältnismäßig seien. Er wies darauf hin, dass bestimmte Maßnahmen, wie die Einhaltung von Berufsrechtsvorschriften und internen Regeln zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Rechtsanwälte, evtl. ausreichen könnten, um diese Unabhängigkeit zu schützen, ohne den freien Kapitalverkehr über Gebühr einzuschränken.
4. Schlussfolgerungen
Der Generalanwalt kam zu dem Schluss, dass die Beschränkungen des Kapitalverkehrs und der Niederlassungsfreiheit durch das deutsche Berufsrecht ggf. über das hinausgehen, was notwendig sei, um die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte zu gewährleisten. Er empfahl daher, die bestehenden Vorschriften anzupassen, um sicherzustellen, dass diese mit den EU-Bestimmungen vereinbar sind und gleichzeitig die Unabhängigkeit der anwaltlichen Tätigkeit gewährleisten können.
5. Auswirkungen für die Praxis
Für Rechtsanwaltskanzleien und sonstigen Berufsausübungsgesellschaften in Deutschland bedeutet dies, dass sie evtl. ihre Strukturen und Beteiligungsverhältnisse überprüfen müssen. Es könnte erforderlich sein, neue Regelungen zu implementieren, die sowohl die Unabhängigkeit der Anwälte als auch den freien Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit in ein ausgeglichenes Verhältnis bringt. Dies könnte beispielsweise durch die Einführung von internen Kontrollmechanismen geschehen, die sicherstellen, dass nichtanwaltliche Gesellschafter keinen ungebührlichen Einfluss auf die anwaltliche Tätigkeit ausüben können. Wobei bereits nicht klar ist, was ein ungebührlicher Einfluss darstellt.
6. Fazit
Der vorliegende Fall zeigt den komplexen Balanceakt zwischen der Sicherstellung der Unabhängigkeit der Rechtsanwälte und der Einhaltung europäischer Grundfreiheiten. Die Entscheidung des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs und die Schlussanträge des Generalanwalts bieten wertvolle Orientierungshilfen für die zukünftige Gestaltung des Berufsrechts für Rechtsanwälte in Deutschland und ggf. auch in anderen EU-Mitgliedstaaten. Die Herausforderung besteht darin, Regelungen zu finden, die beide Aspekte angemessen berücksichtigen und miteinander in Einklang bringen können.
Klarheit – ob der EuGH das sog. Fremdbesitzverbot kippen wird – dürfte es erst im Herbst/Winter diesen Jahres geben.
Problematisch ist auch, dass hier die BRAO lediglich im Rechtsstand vor der großen BRAO-Reform Grundlage des Verfahrens ist und zu befürchten steht, dass sowohl der Gesetzgeber, aber vor allem die Rechtsanwaltskammern sich darauf zurückziehen werden, dass es keine weiteren Änderungen bedürfe, da die kommende Entscheidung des EuGH nicht anwendbar ist – bzw. bereits umgesetzt worden ist. Dies wird abzuwarten bleiben.
Es steht zu hoffen, dass die – seit Jahren bereits verfassungswidrige Regelung des sog. Fremdbesitzverbots – endgültig gekippt wird. Diesmal würde es nicht Karlsruhe, sondern Straßburg sein, der als Motor der Liberalisierung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts fungieren würde. Gemeinsam mit der großen BRAO-Reform und der verwirklichten Rechtsformwahlfreiheit für Rechtsanwälte würde hiermit das letzte Dogma des restriktiven anwaltlichen Berufsrechts fallen.