Lawyers Expertise Events News Career DE
[Translate to English:]

Auswirkungen des EuGH-Urteils auf Befreiungs- und Fördertatbestände: Neue Einordnung, neue Fragen

08. July 2025

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 28. November 2024 über den unionsrechtlichen Begriff des Verteilernetzes hat nicht nur Auswirkungen auf den regulatorischen Status sogenannter Kundenanlagen nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Es wirft auch grundsätzliche Fragen für bestehende steuerliche Begünstigungen, Umlagebefreiungen und Fördermodelle auf, die bislang an den Begriff der Kundenanlage anknüpfen. 

In diesem Beitrag unserer Serie zum EuGH-Urteil beleuchten wir, welche Risiken und Perspektiven sich für Betreiber ergeben, die bislang von solchen Vorteilen profitierten und gehen dabei auf die wichtigsten Privilegierungen für Infrastrukturen, die bisher als Kundenanlagen vom Verteilnetz ausgenommen waren, ein. 

Im Ergebnis besteht Hoffnung, dass der deutsche Gesetzgeber den Kundenanlagenbegriff für all diese Zwecke aufrecht erhält und das Urteil sich dann letztlich darauf nicht auswirken wird. Zugleich führen Änderungen an den Betreiberkonzepten, die ggf. erforderlich werden, um nicht als vollregulierter Verteilnetzbetreiber behandelt zu werden, dazu, dass keine Kundenanlage nach dem bisherigen Begriffsverständnis mehr vorliegt und die Privilegierungen daher ggf. anders formuliert werden müssten als der bisherige Kundenanlagenbegriff.

1. Wesentliche Inhalte des Urteils

Der EuGH hat in seinem Urteil entschieden, dass die nationale Rechtsfigur der Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a EnWG keine eigenständige Ausnahme vom unionsrechtlich definierten Begriff des Elektrizitätsverteilernetzes rechtfertigt. Maßgeblich für die Einordnung als Verteilernetz ist allein, ob Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung zur Belieferung von Kunden transportiert wird. Nationale Sonderkriterien wie eine geografische Begrenzung oder eine bestimmte Nutzerstruktur sind unbeachtlich. Damit unterliegen viele bisher als Kundenanlagen geführte Infrastrukturbetreiber nun unionsrechtlich den Pflichten eines Netzbetreibers oder müssen andere energiewirtschaftliche Konzepte wählen, die nicht oder nur teilweise von der Regulierung ausgenommen sind.

2. Keine unmittelbaren Auswirkungen auf andere Befreiungs- und Fördertatbestände

Das EuGH-Urteil hat sich lediglich zur Einstufung als Verteilernetz nach der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie und den Kriterien, bei deren Vorliegen die daraus resultierenden Pflichten greifen, geäußert. Auf andere Befreiungs- und Fördertatbestände außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie hat das Urteil keine unmittelbare Auswirkung. Hierunter fallen beispielsweise die Mieterstromförderung, die Stromsteuerbefreiung, die Nichterhebung von Abgaben und Umlagen, der KWK-Zuschlag und die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung. Künftige gesetzliche Änderungen im EnWG können sich aber indirekt auf Befreiungs- und Fördertatbestände auswirken, wenn diese keine eigene Begriffsdefinition vorsehen.

3. Umlage- und Abgabepflichten 

Netzbetreiber sind nach § 12 Abs. 1 Energiefinanzierungsgesetz (EnFG) dazu verpflichtet, Umlagen zu erheben. Diese Pflicht trifft die Betreiber, sofern es sich bei der betroffenen Infrastruktur um ein Elektrizitätsversorgungsnetz handelt und aus diesem Netz Strom entnommen wird. Da Kundenanlagen nach § 3 Nr. 16 EnWG bislang nicht als solche Netze galten, mussten deren Betreiber keine Umlagen erheben.

Mit dem Wegfall dieser Ausnahme sind auch Betreiber bisheriger Kundenanlagen unter Umständen Netzbetreiber und müssen nach aktueller Rechtslage Umlagen und die dafür benötigten Daten erheben. Das gilt auch, wenn die Elektrizität vor Ort erzeugt und innerhalb der eigenen Infrastruktur verbraucht wird. Sollte der Gesetzgeber – was er europarechtskonform tun könnte – nicht klarstellen, dass die bisherigen Kundenanlagen weiterhin von den Umlagen befreit sein sollen, droht eine erhebliche Zusatzlast für Anlagenbetreiber. Da die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie keine Verpflichtung zur Erhebung von Umlagen für Verteilnetzbetreiber enthält, wäre es für den nationalen Gesetzgeber aber unionsrechtlich zulässig, eine abweichende Regelung für die Betreiber bisheriger Kundenanlagen zu treffen.

Ähnlich verhält es sich auch bezüglich Abgaben wie der Konzessionsabgabe nach § 48 EnWG sowie der Konzessionsabgabenverordnung. Danach sind Energieversorgungsunternehmen dazu verpflichtet, eine Konzessionsabgabe dafür zu entrichten, dass sie öffentliche Verkehrswege für ihre Leitungen benutzen dürfen. Die Abgabepflicht knüpft also an die Eigenschaft als Energieversorgungsunternehmen an – die gemäß § 3 Nr. 18 EnWG auch dann vorliegt, wenn ein Energieversorgungsnetz betrieben wird. Diese Voraussetzung ist bezüglich den meisten bisherigen Kundenanlagen zu bejahen, wenn an den Konzepten keine Änderungen vorgenommen werden. Betreiber von Kundenanlagen sind nach dem gesetzlichen Wortlaut jedoch bislang ausdrücklich von dem Begriff des Energieversorgungsunternehmens ausgenommen. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber – was ihm unionsrechtlich möglich wäre – auch künftig an dieser Konzeption festhält und Betreiber von Kundenanlagen weiterhin von der Abgabepflicht freistellt.

Auch für stromkostenintensive Unternehmen kann sich durch das Urteil eine Änderung im Rahmen der Umlage- und Abgabepflichten ergeben. Das Energiefinanzierungsgesetz sieht eine sog. besondere Ausgleichsregelung für diese vor (§§ 30 ff. EnFG). Entnehmen stromkostenintensive Unternehmen aus dem öffentlichen Netz Strom, können sie eine Begrenzung der Umlagen in Anspruch nehmen, wenn sie u.a. nachweisen, dass die voll oder anteilig umlagenpflichtige und selbst verbrauchte Strommenge an einer Abnahmestelle, an der das Unternehmen einer der stromkosten- und handelsintensiven Branchen nach Anlage 2 des EnFG zugeordnet werden kann, mehr als eine Gigawattstunde betragen hat und das Unternehmen ein Energiemanagementsystem betreibt. Die Umlagen werden je nach Branche und Stromanteil unterschiedlich berechnet. Hierfür könnte es also weiterhin entscheidend sein, ob Strom aus einer Kundenanlage oder dem öffentlichen Netz bezogen wird.

4. Stromsteuerrechtliche Konsequenzen

Auch im Stromsteuerrecht knüpfen an den Begriff „Kundenanlage“ bisher Privilegien an. So gelten Betreiber von Kundenanlagen unter bestimmten Voraussetzungen nicht als stromsteuerliche Versorger und profitieren dadurch von Steuererleichterungen für selbst erzeugten und verbrauchten Strom. 

Die Stromsteuerverordnung stellt etwa auf den Begriff der „Kundenanlage“ ab. Sie definiert diesen jedoch nicht eigenständig, sondern entlehnt den Begriff dem EnWG. Solange die Kategorie der Kundenanlage im EnWG nicht infolge einer Gesetzesänderung gestrichen wird, bleiben Betreiber von solchen Kundenanlagen auch weiterhin von der Stromsteuer befreit. Selbst für den Fall, dass der Begriff aus dem EnWG künftig gestrichen würde, könnte sich der Gesetzgeber jedoch dazu entscheiden, im Stromsteuerrecht einen eigenständigen Begriff der „Kundenanlage“ zugrunde zu legen und den Begriff dort weiter zu verwenden. 

In dem neuen Abschnitt 2.5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses wurde bereits bekannt gegeben, dass Stromlieferungen innerhalb einer Kundenanlage nicht steuerbar gestellt werden. Daraus lässt sich ableiten, dass steuerlich am Begriff der Kundenanlage festgehalten werden soll. Die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie verpflichtet den Gesetzgeber auch nicht dazu, künftig Stromsteuern in solchen Stromverteilanlagen zu erheben. 

5. Auswirkungen auf Mieterstrom und gemeinschaftliche Gebäudeversorgung

Die Förderung von Mieterstrom nach dem EEG sowie die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung gemäß § 42b EnWG setzen voraus, dass Elektrizität ohne Durchleitung durch ein Netz geliefert wird. In der Vergangenheit war dies durch den Betrieb einer Kundenanlage außerhalb des Verteilernetzes gewährleistet. Wenn die betroffene Leitungsinfrastruktur künftig jedoch als Verteilernetz einzustufen sein sollte, fiele diese Voraussetzung weg. Die Folge: Kein Anspruch mehr auf Förderung durch Mieterstromzuschlag oder gemeinschaftliche Gebäudeversorgung. 

Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber den Begriff der Kundenanlage für die Zwecke dieser Förderung beibehält. Weder das EuGH-Urteil noch die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie erfassen die Frage einer Förderung im Rahmen des Mieterstromzuschlags oder der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung.

Daneben ist zu beachten, dass der BGH in seiner Vorlageentscheidung explizit davon ausging, dass Hausverteilanlagen im Innenbereich eines Gebäudes – unabhängig von der jeweiligen Größe – nicht als Netz zu werten sind. Der EuGH ist hierauf nicht eingegangen, hat die Aussage des BGH gleichwohl zitiert. Hätte der EuGH dem BGH widersprechen wollen, hätte man jedoch eine Erwiderung in dem Urteil in einer so zentralen Frage erwarten können, auch wenn sie für die Vorlagefrage nicht entscheidungserheblich war. Daher liegt es nahe, dass bei solchen Hausverteilanlagen innerhalb eines Gebäudes die Ausnahme von der Regulierung bestehen bleiben darf und sich für all solche Projekte keine wesentlichen Änderungen ergeben werden. Schwieriger wird es für die Projekte, in denen mehrere Gebäude aus einer Anlage versorgt werden. Insoweit ist unklar, bis wann noch eine Hausverteilanlage vorliegt.

6. Indirekte Auswirkungen bei Umgestaltung in Reaktion auf das Urteil

Das EuGH-Urteil wird womöglich viele Betreiber dazu veranlassen, ihre Stromverteilanlagen neu zu gestalten. Dadurch können sich indirekte Auswirkungen auf Förder- und Befreiungstatbestände ergeben. Wer beispielsweise eine Kundenanlage in ein geschlossenes Verteilernetz umwandelt, verliert unter Umständen seine bisherigen Privilegierungen, da nun ein Verteilernetz im energiewirtschaftsrechtlichen Sinn vorliegt. Bevor eine Umstrukturierung angegangen wird, sollten die rechtlichen Auswirkungen und wirtschaftlichen Implikationen daher sorgfältig überprüft werden.

7. Fazit: Steuer- und Förderprivilegien auf dem Prüfstand

Das EuGH-Urteil zum Kundenanlagenbegriff zwingt nicht nur zu regulatorischem Umdenken, sondern löst auch viele Fragen im Zusammenhang mit Förder- und Steuerbegünstigungen aus. Betreiber, die bislang von der rechtlichen Sonderstellung als Betreiber von Kundenanlagen profitierten, sollten die Auswirkungen des Urteils auf eine mögliche Pflicht zur Erhebung von Umlagen und Abgaben, Stromsteuern und etwaigen Fördertatbeständen genau analysieren.

Dabei bleibt die weitere Entwicklung gesetzlicher Anpassungen abzuwarten. In der Zwischenzeit empfiehlt es sich, die eigene Struktur vorausschauend zu prüfen und gegebenenfalls alternative Modelle zu entwickeln. Wir begleiten Sie gerne bei der rechtlichen Bewertung und Neustrukturierung Ihrer Energieprojekte im Lichte dieser europarechtlichen Weichenstellung damit die Wirtschaftlichkeit sichergestellt bleibt.

Back

Authors

Folgende Themen könnten Sie auch interessieren

Lawyers Expertise Events News Offices Career Publications About Kapellmann Sustainability