Nach Inkrafttreten des Justizstandort-Stärkungsgesetzes am 01.04.2025 mag man wohl aufgrund medialer Berichterstattung über die Begrifflichkeiten Commercial Courts und Commercial Chambers gestolpert sein und sich gefragt haben, was es hiermit auf sich hat. Wir wollen daher eine erste Einführung zu den Neuerungen geben.
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Commercial Courts: Hoffnungsträger für beschleunigte Gerichtsverfahren auf dem Gebiet des Bau-, Architekten- und Ingenieurrechts?
14. April 2025

1. Überblick
Gesetzliche Grundlage für die Commercial Courts und Commercial Chambers bildet das am 10. Oktober 2024 verkündete „Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit (Justizstandort-Stärkungsgesetz)“, das am 01.04.2025 in Kraft getreten ist. Selbst gesetztes Ziel des Gesetzesentwurfs ist die Stärkung des Justiz- und Wirtschaftsstandorts in Deutschland unter Ermöglichung der Verhandlung von Wirtschaftsstreitigkeiten in englischer Sprache.
Das Gesetz ermächtigt die Landesregierungen durch Rechtsverordnung Commercial Courts an den Oberlandesgerichten (in Berlin: Kammergericht) beziehungsweise Commercial Chambers bei ausgewählten Landgerichten einzurichten. Die Einrichtung dieser neuartigen Spruchkörper ist auf bestimmte (Wirtschafts-) Streitigkeiten begrenzt. Unter Zugrundelegung des § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GVG, wonach solche Spruchkörper für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern durch die Landesregierungen eingerichtet werden können, haben die Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen bereits entsprechende Spruchkörper mit Fokus auf das Rechtsgebiet des Bau-, Architekten- und Ingenieurrechts eingerichtet. Geleitet werden die Commercial Courts und Commercial Chambers von fachlich spezialisierten Richterinnen und Richtern. Unter Vorliegen bestimmter Voraussetzungen können diese Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen verschiedener Staaten auf Englisch vor diesen Gerichten geführt werden.
2. Zugang und Ablauf des Gerichtsverfahrens
Die Möglichkeit, diese Spezialabteilungen der Gerichte zu nutzen, erfordert, dass die Streitparteien sich auf den Zugang einigen. Eine solche Gerichtswahl kann zwischen den Unternehmen schon mit Abschluss eines Bau- oder Planervertrags festgelegt werden. Die Einigung kann aber auch noch erfolgen, wenn ein Streit zwischen den Parteien bereits entstanden ist.
Zugang zu den Commercial Chambers, die am Landgericht angedockt sind, ist ab einem Streitwert über 5.000,00 € möglich.
Bei den Commercial Courts hingegen, die beim Oberlandesgericht / Kammergericht angegliedert sind, kann – unter Vorliegen weiterer Voraussetzungen - ab einem Streitwert ab 500.000,00 € geklagt werden. Damit ist es den Parteien möglich, zum Beispiel durch Gerichtsstandvereinbarung, einen erstinstanzlichen Weg zum Oberlandesgericht / Kammergericht zu ebnen und dadurch den Instanzenzug auf zwei Instanzen zu reduzieren. Als Rechtmittel gegen ein Urteil des Commercial Courts findet die zulassungsfreie Revision zum Bundesgerichtshof statt (§ 614 S. 2 ZPO). Dieser reduzierte Instanzenzug lässt auf eine verkürzte Verfahrensdauer hoffen.
Übrigens kann z.B. der Commercial Court auch ohne örtliche Berührungspunkte zu dem jeweiligen Oberlandesgerichts- / Kammergerichtsbezirk ausgewählt werden, so dass er auch für Bauvorhaben in ganz Deutschland und im Ausland interessant ist.
Auch die personelle Besetzung der neuen Spruchkörper mit spezialisierten Richterinnen und Richtern stellt eine effiziente Prozessführung in Aussicht. Nach § 612 ZPO ist so früh wie möglich ein Organisationstermin mit den Parteien anzuberaumen, um den Ablauf des Verfahrens festzulegen. Im Gegensatz zu § 139 Abs. 1 S. 3 ZPO wird dem Gericht kein Ermessen zur Durchführung eines solchen Organisationstermins zugebilligt. Der Termin ist daher im Grundsatz stets durchzuführen. Ein solcher Termin kann dazu beitragen den Prozessstoff entsprechend abzuschichten und vor allem für die vom Rechtsstreit betroffenen und zum Beispiel im Ausland ansässigen Personen einen zielführenden Terminplan abzustimmen. Auch kann in diesem Zuge die Möglichkeit die Durchführung der Verhandlungstermine per Videoverhandlung abgestimmt werden. Zudem können die Parteien nach § 613 ZPO die Erstellung eines mitlesbaren Wortprotokolls beantragen. Dies bietet sämtlichen am Rechtsstreit Beteiligten die Möglichkeit den Prozess vollständig nachzuvollziehen und in diesem Zuge Abstimmungen zu erleichtern.
Daneben soll die deutsche Gerichtsbarkeit für im Ausland ansässige Parteien insoweit gestärkt und attraktiver gemacht werden, dass bei entsprechender Rechtsverordnung der Länder vor den Spruchkörpern in englischer Sprache verhandelt werden kann.
Hiervon haben die in Berlin und Nordrhein-Westfalen jüngst für das Bau-, Architekten- und Ingenieurrecht eingerichteten Commercial Courts und Commercial Chambers entsprechend Gebrauch gemacht. Die Parteien können daher die Verhandlung in englischer Sprache führen.
In diesem Zusammenhang bleibt jedoch abzuwarten, inwiefern das Verfahren verzögert wird, wenn die Verhandlungssprache wieder gewechselt wird. So steht es dem Bundesgerichtshof, der über die Revision gegen Urteile des Commercial Courts entscheidet, frei zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens anzuordnen, dass das Verfahren in deutscher Sprache fortgeführt oder Teile der Verfahrensakte in die deutsche Sprache übersetzt werden (§ 184b Abs. 2 GVG). Je nachdem wie umfangreich die Verfahrensakten sind, ist zumindest nicht auszuschließen, dass hierdurch ein Verzug entsteht. Die Kosten für eine hierdurch veranlasste Übersetzung sind indes nicht von den Parteien zu tragen.
3. Einbindung Dritter
In bau-, architekten- und ingenieurrechtlichen Streitigkeiten ist es öfters nötig, am Rechtsstreit Dritte, beispielsweise Mieter oder Bürginnen, zu beteiligen. Sollte das Verfahren vollständig in englischer Sprache geführt werden, so kann der Dritte die Hinzuziehung eines Dolmetschers beantragen. Die Kosten hierfür werden in diesem Fall nicht von der Staatskasse übernommen.
Praxisrelevanter dürfte im Zusammenhang mit am Rechtsstreit beteiligten Dritter jedoch viel mehr die Frage sein, ob eine Klageschrift an einen Dritten verjährungshemmend zugestellt werden kann, wenn dieser die englische Sprache nicht versteht und innerhalb von zwei Wochen der Zustellung gegenüber dem Gericht widerspricht und auf welchen Tag es bei nochmaliger Zustellung für beispielsweise die Verjährungshemmung ankommt.
Die Antwort hierauf bietet § 607 ZPO:
- Versteht der Dritte die englische Sprache nicht und widerspricht er der Zustellung, so gilt der englischsprachige Schriftsatz als nicht zugestellt (Abs. 1)
- Das Gericht hat die betroffene Partei vom Widerspruch unverzüglich in Kenntnis zu setzen und hat diese aufzufordern, innerhalb von zwei Wochen eine deutsche Übersetzung des Schriftsatzes einzureichen (Abs. 2)
- Die Zustellung kann nachgeholt werden, indem der Schriftsatz mit deutscher Übersetzung an den Dritten zugestellt wird. Soll durch die Zustellung zum Beispiel die Verjährung gehemmt werden, tritt die Wirkung mit dem Tag ein, an dem der englischsprachige Schriftsatz dem Dritten erstmals zugestellt worden ist, wenn die Frist nach Abs. 2 gewahrt wurde (Abs. 3)
- Die Kosten der Übersetzung hat die Partei zu tragen (Abs. 4)
Sollte man kurz vor Ablauf der Verjährung eine Einbeziehung eines Dritten zur Verjährungshemmung erwägen, so ist in diesem Zusammenhang daher besondere Vorsicht geboten. Es könnte sich z.B. in solchen zeitlich kritischen Situationen anbieten, von Vornherein entsprechend übersetzte Unterlagen einzureichen.
4. Ausblick und Folgen für die Praxis
Für die Praxis erscheint es lohnenswert, die Entwicklungen der Commercial Chambers und Commercial Courts zu beobachten, da zumindest die Chance besteht, dass Gerichtsverfahren beschleunigt und effizienter durchgeführt werden könnten. Dies wird mutmaßlich insbesondere von der Auslastung der jeweiligen Spruchkörper abhängen.
Es wird sich wohl empfehlen bereits zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen die Vor- und Nachteile von Gerichtsstandsvereinbarungen zu erörtern und im besten Fall bereits zu diesem Zeitpunkt festzulegen. Anderenfalls liefe man hier – gerade mit Blick auf den am Oberlandesgericht / Kammergericht angegliederten Commercial Court – Gefahr, dass zeitfressende Zuständigkeits- und Verweisungsthemen künstlich erzeugt werden. Auch ist im Zusammenhang mit verjährungshemmenden (englischsprachigen) Maßnahmen Vorsicht geboten.
Fragen zum Thema beantworten die Mitglieder unserer Praxisgruppe Bau- und Architektenrecht gerne.