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Contracting und Quartiersversorgung im Lichte des EuGH-Urteils zur Kundenanlage

14. July 2025

1. Neue Unsicherheit für bewährte Modelle

Contracting-Modelle und Quartierskonzepte haben in den letzten Jahren erheblich zur Umsetzung der Energiewende auf lokaler Ebene beigetragen. Dabei haben spezialisierte Dienstleister Energieversorgungsanlagen errichtet und betrieben, um ganze Quartiere oder einzelne Wohn- oder Gewerbeeinheiten mit Strom zu versorgen. Die zugrunde liegenden Infrastrukturen wurden häufig als sogenannte Kundenanlagen konzipiert, um nicht der vollen energierechtlichen Regulierung zu unterliegen und verschiedene Privilegierungen in Anspruch nehmen zu können.

Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 28. November 2024 steht diese Annahme jedoch auf dem Prüfstand. Wie bereits im ersten Beitrag unserer Serie ausgeführt, hat der EuGH klargestellt, dass eine nationale Ausnahme vom Verteilernetzbegriff, wie sie § 3 Nr. 24a EnWG für sogenannte Kundenanlagen vorsieht, mit der europäischen Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie unvereinbar sei. Nach dieser liegt, sobald Elektrizität über eine Leitungsinfrastruktur mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung zur Belieferung von Kunden transportiert wird, ein Verteilernetz vor. Die Voraussetzungen für eine Kundenanlage nach dem EnWG sind für den Verteilnetzbetrieb aus unionsrechtlicher Sicht unbeachtlich.

Wird aus einer Kundenanlage aber für den Betreiber gefühlt über Nacht ein Verteilnetz, ergeben sich teils schwerwiegende Konsequenten für die Wirtschaftlichkeit der Projekte, weil zahlreiche Privilegierungen daran anknüpfen, dass kein Netz zur Versorgung genutzt wird.

2. Contracting-Modelle auf dem regulatorischen Prüfstand

Beim Contracting errichtet und/oder betreibt ein Dienstleister eine Energieinfrastruktur und versorgt darüber Kunden in einem Objekt oder Quartier. Contractoren sollten infolge des EuGH-Urteils prüfen, ob ihre Projekte jetzt als regulierungspflichtige Netze gelten – mit allen daraus resultierenden Folgen (nähere Details dazu finden Sie in unserem ersten Beitrag dieser Reihe).

Wichtig ist dabei, zwischen unterschiedlichen Contracting-Modellen zu unterscheiden:

  • Liefer-Contracting: Der Contractor liefert den Endkunden in dieser Variante Strom, den er auf dem Grundstück mit einer ihm gehörenden Anlage erzeugt. Die Verantwortung für die Erzeugung und Belieferung liegt beim Contractor. Hier ist der Contractor üblicherweise auch für den Betrieb der Leitungsinfrastruktur oder jedenfalls Teilen davon verantwortlich und muss überprüfen, ob der Netzbegriff im unionsrechtlichen Sinne erfüllt sein kann.
     
  • Betriebsführungs-Contracting: Hier bleibt die Anlage im Eigentum des Grundstückseigentümers. Der Contractor übernimmt lediglich Betrieb, Wartung und ggf. Optimierung der Erzeugungsanlage. Die energierechtliche Verantwortung für die Leitungsinfrastruktur liegt in diesem Fall je nach vertraglicher Ausgestaltung häufig nicht beim Dienstleister, sondern beim Eigentümer. Je nachdem kann in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Betrieb eines Verteilernetzes entweder für den Contractor oder für den Eigentümer relevant werden.

Beide Modelle sollten vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils sorgfältig daraufhin geprüft werden, ob sie zur Versorgung von Letztverbrauchern über eine Netzstruktur im Sinne der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie führen. Maßgeblich ist nicht der Vertragstyp, sondern die tatsächliche, rechtliche und technische Ausgestaltung der Versorgungslösung vor Ort.

3. Quartierskonzepte vor neuen Herausforderungen

Quartiersversorgung bedeutet in der Praxis meist die ganzheitliche Versorgung mehrerer Gebäude – etwa mit Strom und Wärme – über eine gemeinsame Erzeugungs- und Verteilstruktur. Die Leitungsinfrastruktur dieser Vorhaben wurde bislang häufig als Kundenanlage realisiert, um regulatorische Anforderungen zu senken und Projekt- sowie Versorgungskosten zu senken.

Nach dem EuGH-Urteil fallen Leitungsinfrastrukturen innerhalb von Quartieren regelmäßig unter den unionsrechtlichen Verteilernetzbegriff, wenn durch sie Strom – regelmäßig im Niederspannungsbereich – zu Kunden transportiert wird. Das gilt unabhängig von der Eigentumsstruktur oder von vertraglichen Konstruktionen wie Warmmietverträgen.

4. Sonderfälle Hausverteilanlagen und Kleinstinfrastrukturen

Nicht jede Versorgungslösung innerhalb eines Quartiers oder Gebäudekomplexes ist automatisch als reguliertes Netz zu behandeln. Das EuGH-Urteil stellt zwar klar, dass die Einstufung als Kundenanlage keine Ausnahme vom unionsrechtlichen Verteilnetzbegriff begründet, dennoch gibt es Konstellationen, in denen möglicherweise weiterhin kein Verteilnetz besteht:

  • Hausverteilanlagen
    Wie bereits im ersten Beitrag dieser Reihe ausgeführt, dürften auch nach dem EuGH-Urteil Leitungsstrukturen innerhalb eines einzelnen Gebäudes nicht als Netz anzusehen sein. Entscheidend ist, dass bei Verteilanlagen innerhalb eines einzelnen Gebäudes kein Netz im Sinne eines Versorgungsgebiets betrieben wird.
     
  • Kleinstinfrastrukturen
    Abzuwarten bleibt zudem, ob künftig auch alle Kleinstinfrastrukturen unter den Verteilnetzbegriff fallen. Allerdings legt der EuGH seinem Urteil ein technisch-funktionales Begriffsverständnis zu Grunde und eröffnet damit einen weiten Anwendungsbereich für den Netzbegriff der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. Der EuGH hat sich zu der Frage, ob auch Kleinstinfrastrukturen mit nur sehr wenigen Endkunden und geringen Endverbräuchen unter den Verteilnetzbegriff zu fassen sind, bislang jedoch nicht verhalten.

5. Gestaltungsmöglichkeiten für Bestands- und Neuprojekte

Für bestehende Contracting- und Quartiersmodelle bedeutet das EuGH-Urteil Rechtsunsicherheit. Betreiber sollten kurzfristig analysieren, ob ihre Infrastruktur als Verteilernetz einzustufen ist. Sollte dies der Fall sein, kann in einem zweiten Schritt überprüft werden, welche Gestaltungsmöglichkeiten genutzt werden können. Gegebenenfalls kann durch Direktleitungen oder durch jeweils eigene Netzanschlüsse im Einzelfall den Betrieb eines Verteilnetzes doch ausgeschlossen werden oder der örtliche Verteilnetzbetreiber in den Betrieb der Infrastruktur eingebunden werden (siehe hierzu auch die Informationen im ersten Beitrag dieser Reihe).

Für neue Projekte empfiehlt sich, bereits bei der Planung verschiedene Umsetzungsoptionen rechtlich sowie wirtschaftlich zu bewerten. 

Auswirkungen auf Förderung und Privilegierung

Wie bereits in unserem Beitrag zu Förder- und Befreiungstatbeständen erläutert, knüpfen viele gesetzliche Begünstigungen an die Eigenschaft als Kundenanlage an. Contractoren und Betreiber von Quartiersmodellen sollten die Auswirkungen des Urteils auf die Förderung und Privilegierung ihres Vorhabens prüfen, da sie möglicherweise infolge des Urteils zur Erhebung von Umlagen verpflichtet werden, nicht mehr stromsteuerlich privilegiert sind oder den Zugang zu Mieterstromförderung und gemeinschaftlicher Gebäudeversorgung verlieren. Damit kann die wirtschaftliche Grundlage vieler Vorhaben vor einer Neubewertung stehen. Hier müssen die Signale und etwaigen Anpassungsbestrebungen des Gesetzgebers in Bezug auf die Förderungs- und Privilegierungstatbestände genau beobachtet werden.

6. Fazit: Strategisches Umdenken ist gefragt

Das EuGH-Urteil stellt bewährte Contracting- und Quartierskonzepte auf regulatorisch neues Fundament. Auch wenn noch nicht absehbar ist, ob und inwieweit der Gesetzgeber gegebenenfalls regulatorisch tätig wird, sollten sich Betreiber bereits jetzt aktiv mit den Auswirkungen des EuGH-Urteils auf ihre Vorhaben auseinandersetzen und Anpassungsbedarf und -möglichkeiten identifizieren.

Je nach Projektkontext kann dies bedeuten, neue Genehmigungen einzuholen, rechtliche Neustrukturierungen vorzunehmen oder künftige Projekte ganz anders zu konzipieren.

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