Am 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Deutschland in Kraft. Das Gesetz setzt die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (European Accessibility Act „EEA“) in deutsches Recht um. Erstmals werden dadurch private Wirtschaftsakteure verpflichtet, gewisse Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zugänglich zu machen. Ziel ist es dabei, das Recht auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft für Menschen mit Behinderungen zu stärken, indem digitale Angebote ohne Barrieren genutzt werden können. Im Folgenden beantworten wir die wichtigsten Fragen rund um das neue Gesetz.
Q&A zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)
14. November 2024
1. Was ist das BFSG und welchen Zweck verfolgt es?
Das BFSG legt rechtliche Vorgaben fest, um die Barrierefreiheit bestimmter digitaler Produkte und Dienstleistungen, die von Verbrauchern genutzt werden, zu gewährleisten. Ziel ist es, Menschen mit Behinderung den Zugang zu diesen Angeboten zu erleichtern und somit die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu stärken. Gleichzeitig werden einheitliche Standards für die Barrierefreiheit im EU-Binnenmarkt umgesetzt. Hierzu werden erstmals private Wirtschaftsakteure zur Beachtung von Barrierefreiheitsanforderungen bei gewissen Produkten und Dienstleistungen verpflichtet (zu den Anforderungen unten).
2. Welche Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen sind vom BFSG betroffen?
Das BFSG adressiert sämtliche „Wirtschaftsakteure“, die
- Hersteller, Bevollmächtigte, Importeure oder Händler bestimmter Produkte sind, oder
- bestimmte Dienstleistungen für Verbraucher erbringen.
Eine Ausnahme gilt gemäß § 3 Abs. 3 BFSG für Kleinstunternehmen (mitweniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von höchstens EUR 2 Mio.). Dies gilt jedoch nur für Dienstleistungsanbieter; Unternehmen, die Produkte herstellen, importieren oder vertreiben, sind auch als Kleinstunternehmen an die Anforderungen des BFSG gebunden.
Das Gesetz gilt für folgende digitale Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden:
- Hardwaresysteme und deren Betriebssysteme für Verbraucher (z.B. Computer, Tablets, Notebooks)
- Selbstbedienungsterminals wie Geld- und Fahrkartenautomaten, Check-in-Automaten, Zahlungsterminals und interaktive Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen
- Verbrauchergeräte mit interaktiven Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste verwendet werden (z.B. Smartphones)
- Geräte mit interaktiven Leistungsumfang, die für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden (z.B. Smart-TVs)
- E-Book-Lesegeräte, E-Books und die hierfür bestimmte Software
- Elektronische Kommunikationsdienste (z.B. Internetzugang, Telefonie)
- Elemente von Personenbeförderungsdienste im überregionalen Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr (z.B. elektronische Tickets und Ticketdienste, Webseiten, Apps)
- Bankdienstleistungen für Verbraucher
- E-Commerce-Dienste für Verbraucher (z.B. Online-Shopping über Webseiten oder Apps).
Insbesondere wegen der letzten Fallgruppe ist das BFSG für eine Vielzahl von unterschiedlichen Unternehmen relevant, da damit Webshops grundsätzlich erfasst sind, sofern sie für Verbraucher offenstehen. Im Detail ist allerdings noch unklar, welche Produkte und Dienstleistungen konkret erfasst sein sollen. So ist unklar, ob die Anforderungen des Gesetzes auch für Webshops gelten, über die Lebensmittel verkauft werden, da Lebensmittel als solche gemäß § 2 Nr. 2 BFSG nicht als Produkte im Sinne des BFSG gelten.
Auch in Bezug auf die betroffenen Wirtschaftsakteure bestehen noch Rechtsunsicherheiten. Unternehmen ist daher zu empfehlen, sich frühzeitig mit den neuen Regelungen auseinanderzusetzen, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht betroffen scheinen.
3. Welche Pflichten legt das BFSG den Unternehmen auf?
Die vom Anwendungsbereich erfassten Produkte dürfen ab dem 28. Juni 2025 nur noch in den Verkehr gebracht werden, wenn sie
- die vorgeschriebenen Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen,
- das nach dem BFSG erforderliche Konformitätsverfahren durchlaufen haben,
- eine EU-Konformitätserklärung (nach Anlage 2 des BFSG) vorliegt und
- eine CE-Kennzeichnung aufweisen.
Diese Pflichten treffen in erster Linie den Hersteller eines Produktes. Gleichwohl hat der Importeur oder Händler die Einhaltung dieser Pflichten zu überwachen und darf das Produkt nur bei Konformität auf dem Markt bereitstellen.
Die vom Anwendungsbereich erfassten Dienstleistungen dürfen ab dem 28. Juni 2025 nur noch für Verbraucher angeboten oder erbracht werden, wenn sie
- die vorgeschriebenen Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen und
- die in Anlage 3 des BFSG aufgeführten Informationen (z.B. in den AGB oder auf der Webseite) in barrierefreier Form bereitstellen.
4. Wann gelten Produkte oder Dienstleistungen als barrierefrei?
Produkte und Dienstleistungen sind laut Definition des § 3 Abs. 1 Satz 2 BFSG barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.
Die genauen Anforderungen ergeben sich aus der Barrierefreiheitsstärkungsverordnung (BFSGV). Diese bezieht sich auf den Stand der Technik und stellt die Vermutung auf, dass Dienstleistungen die Anforderungen der Rechtsverordnung erfüllen, wenn die Darstellungen harmonisierten Normen entsprechen.
Für Webseiten und Apps ist vor allem die harmonisierte Norm (EN) 301 549 relevant, welche wiederum auf die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) – ein internationaler Standard zur barrierefreien Gestaltung von Internetangeboten – verweist. Nach § 12 Nr. 3 BFSGV müssen Webseiten und Apps auf konsistente und angemessene Weise wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden. Welche Anforderungen insoweit gelten, kann den WCAGs entnommen werden. Beispielsweise müssen Schriften und Bilder einen gewissen Kontrast zum Hintergrund aufweisen, damit diese für Menschen mit einer Sehbehinderung erkennbar sind.
5. Welche Ausnahmen gibt es?
Die Barrierefreiheitsanforderungen müssen nur erfüllt werden, wenn deren Einhaltung keine wesentliche Änderung des Produkts oder einer Dienstleistung erfordert, die das Wesen der Leistung grundlegend verändern würde, § 16 Abs. 1 BFSG. Ebenso entfällt die Pflicht, wenn die Erfüllung der Anforderungen zu einer unverhältnismäßigen Kostenbelastung führen würde. Die beurteilungsrelevanten Kosten sind in Anlage 4 zum BFSG aufgeführt. Dabei ist u.a. das Verhältnis der Nettokosten zur Umsetzung der Anforderungen des BFSG mit den Gesamtkosten für die Herstellung des Produkts oder Erbringung der Dienstleistung zu betrachten. Der Gesetzgeber legt jedoch keinen klaren Maßstab für eine unverhältnismäßige Kostenbelastung fest. Die Schwelle dürfte dabei eher hoch sein, da nicht jeglicher Änderungsaufwand als unverhältnismäßig gelten kann. Eine abschließende Beurteilung bedarf stets einer Einzelfallprüfung.
Unternehmen, die sich auf eine Ausnahme berufen, müssen dies dokumentieren und unverzüglich die jeweilige Marktüberwachungsbehörde informieren.
Teilweise sieht das Gesetz auch in einzelnen Bereichen Ausnahmen vor. So sind etwa nach § 1 Abs. 4 BFSG bestimmte Inhalte einer Webseite oder einer App (z.B. Online-Karten) von den Anforderungen des BFSG ausgenommen. Auch insofern besteht bei der konkreten Auslegung des Gesetzes aber noch viel Rechtsunsicherheit.
6. Welche Sanktionen drohen bei Verstößen?
Das BFSG sieht nach § 37 BFSG Geldbußen für Verstöße vor. Bei vorsätzlichen oder fahrlässigen Missachtungen drohen Bußgelder in Höhe von bis zu EUR 100.000 bei schweren Verstößen und bis zu EUR 10.000 bei leichteren Verstößen.
7. Was sollten Unternehmen beachten?
Unternehmen sollten sich frühzeitig mit dem BFSG vertraut machen, um eine reibungslose Umsetzung sicherzustellen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) stellt bereits jetzt Leitlinien zur Verfügung (hier).
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Diese Darstellung dient lediglich dem Überblick und ersetzt keine rechtliche Beratung.