BGH: Vergütungsanspruch trotz Mängeln – Neue Rechtslage bei Insolvenz des Bauunternehmens
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 17. Juli 2025 eine wegweisende Entscheidung zur Vergütung mangelhafter Bauleistungen in der Insolvenz getroffen. Erstmals stellt der BGH klar, dass Insolvenzverwalter für vor der Insolvenz erbrachte Werkleistungen eine Vergütung verlangen können, ohne dass eine Abnahme erforderlich ist. Diese Rechtsprechung beendet eine Blockade-Situation und schafft Klarheit für alle Beteiligten am Bau.
Der entschiedene Fall
Ein Auftraggeber hatte mit einem Dachdeckerunternehmen einen Bauvertrag über Dachdecker- und Klempnerarbeiten geschlossen. Die Bauleistungen wurden überwiegend erbracht und per Abschlagsrechnungen vergütet. Der Insolvenzverwalter lehnte die weitere Vertragserfüllung ab und klagte die ausstehende Vergütung ein, deren Zahlung wegen wesentlicher Mängel verweigert wurde. Die zentrale Frage war, ob ohne Abnahme und trotz Mängeln ein fälliger Vergütungsanspruch besteht.
Vertragsspaltung durch Insolvenzeröffnung
Der BGH führt seine bisherige Rechtsprechung zur Vertragsspaltung fort. Sobald das Insolvenzverfahren eröffnet wird, spaltet sich ein Bauvertrag automatisch in zwei Teile auf: den vorinsolvenzlichen Teil, der bereits erbracht wurde, und den nachinsolvenzlichen Teil, der noch aussteht. Diese Spaltung tritt kraft Gesetzes ein und hängt nicht von einer Entscheidung des Insolvenzverwalters ab. Voraussetzung ist lediglich, dass sich der Wert der erbrachten Teilleistung und der darauf entfallende Vergütungsanteil objektiv bestimmen lassen, notfalls mit sachverständiger Hilfe.
Die Rechtsprechung fasst den Begriff der Teilbarkeit dabei bewusst weit. Bei Bauverträgen geht der BGH großzügig davon aus, dass eine Teilbarkeit gegeben ist, da Bauverträge grundsätzlich gekündigt und die erbrachten Leistungen bewertet werden können. Dennoch gibt es Ausnahmen: Leistungen wie die Werkstatt- und Montageplanung, die in der Vergütung nicht separat ausgewiesen sind und vom Nachfolgeunternehmen erneut erbracht werden müssen, sind nicht teilbar.
Keine Abnahme mehr erforderlich
Die entscheidende Neuerung betrifft das Abnahmeerfordernis. Nach bisheriger Rechtsauffassung wurde die Vergütung erst mit Abnahme der Werkleistung fällig. Der BGH stellt nun klar: Für die Vergütung des vorinsolvenzlichen Leistungsteils ist keine Abnahme mehr erforderlich, weil die Mängel dem nichterfüllten Vertragsteil zuzuordnen sind.
Die Begründung überzeugt: Wenn der erbrachte Teil ohnehin nur das umfasst, was bereits um die Mängel bereinigt wurde, ist diese Leistung logischerweise abnahmereif. Eine Abnahmeverweigerung würde nichts an der Fälligkeit ändern. Zudem verhindert die neue Regelung Blockade-Situationen, in denen der Insolvenzverwalter keine Vergütung geltend machen kann, weil ihm die Mittel oder das Know-how zur Mängelbeseitigung fehlen.
Besonders bedeutsam ist die Entscheidung bei wesentlichen Mängeln. Bisher konnte ein Auftraggeber die Abnahme bei wesentlichen Mängeln verweigern, wodurch keine Vergütung fällig wurde. Nach der neuen Rechtsprechung werden auch wesentliche Mängel dem nicht erbrachten Vertragsteil zugerechnet und stehen der Vergütung des mangelfreien Teils nicht mehr entgegen. Der Insolvenzverwalter kann somit auch bei erheblichen Mängeln eine reduzierte Vergütung verlangen, ohne die Mängel beseitigen zu müssen.
Berechnung der Vergütung: Abzug der Mängelbeseitigungskosten
Der BGH legt fest, dass die Vergütung für den vorinsolvenzlichen Leistungsteil von vornherein um die objektiven Mängelbeseitigungskosten zu mindern ist. Für die Ermittlung dieser Kosten trägt der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast. Ein Druckzuschlag nach § 641 Abs. 3 BGB, der normalerweise das Doppelte der Mängelbeseitigungskosten beträgt, wird nicht angewendet, da die Mängelansprüche nicht fällig sind.
Diese Berechnungsmethode führt dazu, dass die objektiven Marktpreise für die Mängelbeseitigung abgezogen werden, unabhängig davon, wie der insolvente Auftragnehmer ursprünglich kalkuliert hatte. Hat das Unternehmen unter Marktpreis angeboten, kann die Vergütung dadurch erheblich reduziert werden. Dieses Ergebnis ist wirtschaftlich jedoch sinnvoll, da der Auftraggeber die Mängelbeseitigung zu Marktpreisen neu beauftragen muss.
Praxisrelevante Folgen der Entscheidung
Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die Baupraxis. Insolvenzverwalter können nun schneller Liquidität für die Insolvenzmasse generieren, indem sie Vergütungsansprüche durchsetzen, ohne auf eine Abnahme warten oder Mängel beseitigen zu müssen. Für Auftraggeber bedeutet dies, dass sie mangelhafte Leistungen vergüten müssen, allerdings unter Abzug der Mängelbeseitigungskosten.
Problematisch wird es, wenn Mängel erst nach der Zahlung bekannt werden. In solchen Fällen steht dem Auftraggeber ein Bereicherungsanspruch gegen die Insolvenzmasse zu, da sich nachträglich herausstellt, dass die Vergütung zu hoch bemessen war. Dieser Anspruch ist als Masseverbindlichkeit zu bedienen und unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren. Der Verjährungsbeginn hängt von der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der Überzahlung ab.
Die Pflicht zur Erstellung einer prüffähigen Schlussrechnung bleibt bestehen. Der Insolvenzverwalter muss in der Lage sein, seine Leistungen nachvollziehbar abzurechnen. Dies kann in komplexen Bauvorhaben eine erhebliche Hürde darstellen, insbesondere wenn bauleitendes Personal das Unternehmen bereits verlassen hat. Der BGH hat jedoch klargestellt, dass der Anspruch auf Rechnungslegung grundsätzlich nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden kann. Verfolgt der Insolvenzverwalter jedoch aktiv Vergütungsansprüche, muss er auch eine ordnungsgemäße Schlussrechnung vorlegen.
Handlungsempfehlungen
Auftraggeber sollten bei Insolvenz des Bauunternehmens umgehend prüfen, welche Leistungen bereits erbracht wurden und welche Mängel bestehen. Eine frühzeitige Dokumentation und sachverständige Bewertung der Mängelbeseitigungskosten ist essentiell, um überhöhten Vergütungsforderungen begegnen zu können. Bei Zahlung einer Schlussvergütung an den Insolvenzverwalter sollte stets ein ausreichender Vorbehalt für später erkannte Mängel gemacht werden.
Insolvenzverwalter müssen die Mängelbeseitigungskosten präzise ermitteln und darlegen können. Eine pauschale Berechnung reicht nicht aus. Die neue Rechtsprechung erleichtert zwar die Durchsetzung von Vergütungsansprüchen, setzt aber eine gründliche Aufarbeitung der Mängelsituation voraus. Eine einvernehmliche Zustandsfeststellung mit dem Auftraggeber ist in der Praxis oft der effizienteste Weg.
Bei Fragen zur Abwicklung von Bauverträgen in der Insolvenz stehen wir mit unserer langjährigen Erfahrung im Bau- und Insolvenzrecht zur Seite.
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FAQ: Häufig gestellte Fragen
Ja, der Insolvenzverwalter kann für den vor der Insolvenzeröffnung erbrachten Leistungsteil eine Vergütung verlangen. Allerdings wird diese um die objektiven Mängelbeseitigungskosten gemindert. Eine Abnahme ist dafür nicht mehr erforderlich.
Der Auftraggeber muss den mangelfreien Teil der Leistung vergüten. Die Mängelbeseitigungskosten werden von der Vergütung abgezogen. Faktisch zahlt der Auftraggeber also nur für das, was ordnungsgemäß erbracht wurde, kann aber die Mängel nicht mehr vom Insolvenzverwalter beseitigen lassen.
Wenn sich nachträglich herausstellt, dass Mängel übersehen wurden, steht dem Auftraggeber ein Bereicherungsanspruch gegen die Insolvenzmasse zu. Dieser Anspruch ist als Masseverbindlichkeit zu behandeln und unterliegt der dreijährigen Verjährungsfrist ab Kenntnis der Überzahlung.
Ja, auch wesentliche Mängel hindern die Vergütung nicht mehr. Sie werden dem nicht erbrachten Vertragsteil zugeordnet und stehen der Abnahmereife des erbrachten Teils nicht entgegen. Lediglich wenn der Mangel so gravierend ist, dass die Mängelbeseitigung einer Neuherstellung gleichkommt, kann die Vergütung auf Null reduziert werden.
Die Mängelbeseitigungskosten werden objektiv nach Marktpreisen berechnet. Der Insolvenzverwalter trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Höhe dieser Kosten. Häufig ist ein Sachverständigengutachten erforderlich. Ein Druckzuschlag wird nicht angewendet.
Ja, die Pflicht zur Erstellung einer prüffähigen Schlussrechnung bleibt bestehen. Wenn der Insolvenzverwalter aktiv Vergütungsansprüche verfolgt, muss er in der Lage sein, seine Leistungen nachvollziehbar abzurechnen. Das Informationsinteresse des Auftraggebers überwiegt hier.
Nein, nach Erfüllungsablehnung steht dem Insolvenzverwalter keine Bauhandwerkersicherung mehr zu. Das Sicherungsbedürfnis entfällt, da der Insolvenzverwalter keine Vorleistungen mehr erbringen muss. Ein solches Verlangen ist nach Treu und Glauben unzulässig.
Leistungen, die nicht teilbar sind, können vom Insolvenzverwalter nicht vergütet verlangt werden. Beispiel: Eine Werkstatt- und Montageplanung, die in der Vergütung nicht separat ausgewiesen ist und vom Nachfolgeunternehmen erneut erbracht werden muss, gilt als nicht teilbar.
Überschießende Mängelbeseitigungskosten können als Insolvenzforderung angemeldet werden. Anders als im regulären Werkvertragsrecht ist es zulässig, fiktive Mängelbeseitigungskosten geltend zu machen, auch wenn noch kein Schadensersatzanspruch entstanden ist.
Ja, die Grundsätze zur Vertragsspaltung bleiben unverändert. Die Insolvenzeröffnung führt automatisch zur Spaltung des Vertrags in einen vorinsolvenzlichen und einen nachinsolvenzlichen Teil, sofern die Leistungen teilbar sind. Die Neuerung betrifft nur das Abnahmeerfordernis für den vorinsolvenzlichen Teil.