Die steigenden Energiepreise sind in diesen Tagen in aller Munde – und das nicht nur in Deutschland, sondern EU-weit. In einigen Mitgliedstaaten wurden bereits erste Maßnahmen getroffen, um die Auswirkungen auf die Privathaushalte und Unternehmen abzumildern.
Die Europäische Kommission hat die aktuellen Sorgen aufgegriffen und in einer Mitteilung vom 13. Oktober 2021 (COM(2021) 660 final, abrufbar hier) ihre Handlungsvorschläge vorgestellt. Unter anderem mahnt die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten dazu an, staatliche Hilfspakete nur im Rahmen des EU-Beihilferechts zu schnüren.
Wir geben einen Überblick über die Aussagen der Europäischen Kommission in ihrer Mitteilung (1.) und ordnen ihren Stellenwert ein (2.). Ferner stellen wir die Möglichkeiten (3.) und Grenzen (4.) der staatlichen Hilfestellungen innerhalb des EU-Beihilferechts vor. Schließlich fassen wir die in Deutschland aktuell vorgesehenen Maßnahmen zusammen (5.).
1. Was ergibt sich aus der Mitteilung der Europäischen Kommission?
Die Mitteilung der Europäischen Kommission umfasst eine Reihe von Maßnahmen, um einerseits kurzfristig den unmittelbaren Auswirkungen des aktuellen Preisanstiegs zu begegnen und andererseits mittelfristig bessere Resilienz gegenüber künftigen Preisschocks zu schaffen. Diese Maßnahmen sollen von den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten getroffen werden.
Zur raschen Abmilderung der Auswirkungen des Preisanstiegs auf gefährdete Verbraucherinnen und Verbraucher schlägt die Europäische Kommission vor, dass die Mitgliedstaaten Gutscheine o.Ä. für die Begleichung von Energierechnungen bedürftiger Haushalte ausgeben oder Genehmigungen von Zahlungsaufschüben für Energierechnungen und Vorkehrungen zum Schutz vor Stromabschaltungen und anderen Netztrennungen treffen. Auf ähnliche Weise sollen auch Unternehmen oder Industriezweige unterstützt werden können.
Der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Maßnahmenkatalog umfasst neben kurzfristigen finanziellen Unterstützungen auch strukturelle Maßnahmen. So soll zum Beispiel die Marktüberwachung kurzfristig verstärkt werden und das Funktionieren des Energiesystems in der EU mittelfristig grundsätzlich überprüft werden.
Ferner appelliert die Europäische Kommission zu mehr Investitionen in erneuerbare Energien, Gebäuderenovierungen und Energieeffizienz und Beschleunigung der Auktionen und Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien. Über die Anstrengungen der Bundesregierung für Gebäudesanierungen mit dem Klimaschutz Sofortprogramm 2022 berichteten wir kürzlich (abrufbar hier).
2. Welche Stellung hat die Mitteilung der Europäischen Kommission?
Die Mitteilung der Europäischen Kommission ist kein Rechtsakt – aus ihr leiten sich also keine Rechte und Pflichten ab. Die Europäische Kommission signalisiert mit ihrer Mitteilung jedoch, dass sie die Sorgen der EU-Bürger, Unternehmen und Mitgliedstaaten aufgreift. Die Mitteilung ist zunächst eine Hilfestellung für und ein Appell an die Mitgliedstaaten. Ferner kündigt die Europäische Kommission verschiedene eigene Maßnahmen an. Schließlich lädt sie die nationalen Behörden, die Industrie, Verbraucherverbände und internationalen Partner ein, den Austausch zu diesem Thema fortzusetzen.
Die Mitteilung wurde am 14. Oktober 2021 den Mitgliedern des Europäischen Parlaments und am 26. Oktober 2021 den Energieministerinnen und ‑ministern der EU vorgestellt. Das Thema „Energiepreise“ ist ferner auf der Agenda der Tagung des Europäischen Rats am 21.-22. Oktober 2021. Nach der Tagung wird sich genauer abzeichnen, welche Maßnahmen EU-weit umgesetzt werden könnten.
Innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens können die Mitgliedstaaten der EU jedoch bereits jetzt Hilfsprogramme aufstellen.
3. Wann kommt das EU-Beihilferecht zur Anwendung?
Das Beihilferecht verbietet grundsätzlich, dass bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige mit staatlichen Mittel begünstigt werden, wenn dies Auswirkungen auf den Wettbewerb oder den zwischenstaatlichen Handel haben kann (Art. 107 Abs. 1 AEUV).
Erstens steht damit fest, dass jegliche Fördermaßnahmen, die sich unmittelbar an Verbraucherinnen und Verbraucher richten, grundsätzlich nicht dem EU-Beihilferecht unterfallen. Zwar können durch Maßnahmen zugunsten von Verbrauchern (z.B. Energiegutscheine) möglicherweise mittelbare Beihilfen an die Energieversorger gewährt werden, insbesondere wenn diese dadurch keine Zahlungsausfälle erleiden. Jedoch haben Maßnahmen, die primär Verbraucher von bestehenden Verpflichtungen entlasten sollen, keine Lenkungswirkung. Anders als beispielsweise bei Prämien für Verhaltensänderungen (z.B. „Abwrackprämie“) ist nicht zu erwarten, dass mehr konsumiert wird.
Zweitens sind staatliche Hilfsmaßnahmen, die alle Energiekonsumenten betreffen, keine Beihilfen im Sinne des EU-Beihilferechts, da sie nicht nur für „bestimmte“ Unternehmen oder Produktionszweige gelten (z.B. eine vorübergehende Senkung der Steuersätze und Abgaben). Solche beihilfefreien Hilfspakete können also von den Mitgliedstaaten geschnürt werden, ohne dass die Europäische Kommission hierzu eine Entscheidung treffen muss.
Werden bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige, z.B. in besonders energieintensiven Tätigkeitsfeldern, jedoch besonders gefördert, spricht dies für die selektive Begünstigung und das Vorliegen einer Beihilfe.
4. Welche Grenzen des EU-Beihilferechts sind zu beachten?
Liegt eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vor, gilt grundsätzlich das Durchführungsverbot (Art. 108 Abs. 3 AEUV). Die Mitgliedstaaten dürfen Förderungen also nicht selbständig verteilen, sondern müssen das Hilfspaket zunächst bei der EU-Kommission anmelden (sog. Notifizierung) und die Freigabe durch die Europäische Kommission abwarten.
Jedoch bestehen Ausnahmen von dieser Notifizierungspflicht, wobei hier strenge formale und inhaltliche Anforderungen zu erfüllen sind. Dazu gehört zum Beispiel die Verringerung der Steuerbeträge für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom auf die in der Energiesteuerrichtlinie (Richtlinie 2003/96/EG) festgesetzte Mindestgröße (Mitteilung der Kommission, COM(2021) 660 final, S. 9-10).
Ob die Freigabe für eine staatliche Beihilfe erteilt wird, entscheidet die Europäische Kommission im Einzelfall. Hierbei spielt insbesondere eine Rolle, ob die staatliche Förderung den Wettbewerb unverhältnismäßig stört oder zu einer Fragmentierung des Binnenmarktes führen könnte. Ferner sollen staatliche Förderungen technologieneutral und nicht diskriminierend sein. Die Kommission betont in ihrer Mitteilung, dass staatliche Beihilfen nicht die bestehenden marktwirtschaftlich orientierten Mechanismen (z.B. EU ETS) unterlaufen sollen. Ferner sollen sie im Einklang mit den übergreifenden CO2-Abbauzielen und den nationalen Energie- und Klimaplänen vereinbar sein.
5. Was plant die Bundesregierung für den deutschen Energiemarkt?
Bereits im September 2021 wurde angekündigt, dass die EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms gesenkt werden soll. Ob es dabei bleiben wird, wird auch von der Entwicklung der Energiepreise in den nächsten Wochen abhängen.
Bei Fragen zum Thema stehen Ihnen unsere Ansprechpartner fürs Beihilferecht gerne zur Verfügung.
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