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Eckpunktepapier zur Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie an Land

06. April 2022

1. Einführung

Am 04.04.2022 stellten Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz ein Eckpunktepapier  zur „Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergieanlage an Land“ vor. Das Eckpunktepapier benennt geplante Gesetzesänderungen, um den Zielkonflikt zwischen Energiewende und Artenschutz zu lösen.

Bereits im EEG-Referentenentwurf ist vorgesehen, den Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch bis 2030 auf mindestens 80 % und bis 2035 auf 100 % zu erhöhen. Dies wird im Eckpunktepapier nochmals bekräftigt. Im Eckpunktepapier wird außerdem erwähnt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht nur zur Eindämmung der Klimakrise notwendig ist, sondern auch, dass er „Deutschland aus dem Klammergriff der russischen Energieimporte“ befreien kann.

Laut dem Eckpunktepapier wird die Bundesregierung ein Wind-an-Land Gesetz vorlegen, das die Länder verpflichtet, 2 % ihrer Flächen für Windenergie an Land zur Verfügung zu stellen. Auf Details dieses geplanten Gesetzes geht das Eckpunktepapier nicht ein. Bis zum Erreichen dieses Flächenziels soll es aber im Rahmen des Artenschutzes weitgehende Erleichterungen für Windenergievorhaben geben.

2. Artenschutz

Die artenschutzfachliche Prüfung für Windenergie an Land soll vereinfacht und beschleunigt werden. Seit Jahren wird ein bundeseinheitlicher und nachvollziehbarer Rahmen im Artenschutz von Branchenverbänden gefordert, da insbesondere bei Windvorhaben die unterschiedliche Praxis der Länder, der einzelnen Behörden und der Gerichte den Vorhabenträgern die zügige und erfolgreiche Genehmigung von Windenergieanlagen erschweren und teilweise fast Jahrzehnte in die Länge ziehen.

2.1 Signifikanzprüfung

Grundsätzlich ist jede Tötung besonders geschützter Arten gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verboten. Im Zusammenhang mit der Genehmigung von Windenergieanlagen ist gemäß § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BNatSchG der Verbotstatbestand dann verwirklicht, wenn ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko anzunehmen ist. Dies ist dann der Fall, wenn

  • Exemplare einer aufgrund ihres artspezifischen Verhaltens als kollisionsgefährdet eingestuften Art (kollisionsgefährdete Arten)
  • mit einer erhöhten Häufigkeit im Gefahrenbereich der WEA anzutreffen sind
  • und die Wirksamkeit anerkannter Schutzmaßnahmen nicht ausreicht, das Kollisionsrisiko unter die Signifikanzschwelle zu senken.

Eine rechtlich verbindliche Grundlage, wann genau ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko anzunehmen ist, sowie eine Vorgehensweise zur Bestimmung der Risikoerhöhung gab es bislang nicht.

Die Bundesländer haben in unterschiedlichen Artenschutzleitfäden und Windenergieerlassen teilweise sehr unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe festgelegt, die Behörden wenden diese teils unterschiedlich an und die Gerichte sehen sich nur teilweise an diese gebunden, greifen aber auch immer wieder auf andere Quellen zurück, um das Vorliegen eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos einzuschätzen. Dies führt zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, was Vorhabenträger vor erhebliche Planungsunsicherheiten stellt.

Die Umweltministerkonferenz hat deswegen bereits am 11.12.2020 einen standardisierten Bewertungsrahmen zur Ermittlung einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos geschaffen, der von den Ländern – mit teilweise jedoch erheblichen Abweichungsbefugnissen – umgesetzt werden soll (im Folgenden: UMK-Signifikanzrahmen). Bislang stockt die Umsetzung in den Ländern aber.

Mit den im Eckpunktepapier vorgesehenen Regelungen nimmt nun der Bundesgesetzgeber seine Regelungskompetenz im Bereich des Natur- und Artenschutzes wahr. Es soll erstmals im Bundesnaturschutzgesetz ein bundeseinheitlicher und gesetzlicher Standard eingeführt werden, um zu prüfen, ob sich durch die Errichtung einer Windenergieanlage das Tötungs- und Verletzungsrisiko kollisionsgefährdeter Vögel signifikant erhöht. Ein solcher standardisierter Rahmen hilft nicht nur Vorhabenträgern, sondern auch Behörden und Gerichten im Umgang mit diesem Themenkomplex. Die im Eckpunktepapier vorgesehenen Regelungen sollen abschließend sein. Abweichungen der Länder sind nicht möglich. Lediglich beim Umgang mit Ansammlungen oder beim Umgang mit Fledermäusen sollen die Länder ihre individuelle Vorgehensweise beibehalten.

2.1.1 Kollisionsgefährdete Arten

Dem Eckpunktepapier ist bereits die Liste kollisionsgefährdeter Vogelarten zu entnehmen. Teilweise werden die Vogelarten nur dann als kollisionsgefährdet eingestuft, wenn die Höhe der Rotorunterkante weniger als 30 bis 50 m bzw. in hügeligem Gelände weniger als 80 m beträgt. Diese Liste orientiert sich wohl am UMK-Signifikanzrahmen, geht aber auch über diesen hinaus und ordnet auch die Kornweihe, den Wespenbussard, den Schwarzstorch sowie die Sumpfohreule als kollisionsgefährdete Vogelarten ein. Die Liste der kollisionsgefährdeten Vogelarten, die Abstände und die Vermeidungsmaßnahmen sollen alle 3 Jahre evaluiert und aktualisiert werden. Bis Ende 2022 soll darüber hinaus die Einführung einer probabilistischen Methode zur mathematischen Berechnung der Kollisionswahrscheinlichkeit geprüft und soweit möglich ein Vorschlag vorgelegt werden.

2.1.2 Nahbereich und Prüfbereich

Das Eckpunktepapier differenziert in der Liste der kollisionsgefährdeten Vogelarten zwischen einem Nahbereich (innerer Schutzbereich) und dem Prüfbereich, wobei der Prüfbereich nochmals in einem zentralen und erweiterten Prüfbereich aufgeteilt wird. Diese Aufteilung wird im Eckpunktepapier aber nicht weiter aufgegriffen. Der UMK-Signifikanzrahmen hatte ausschließlich Regelabstände definiert und die Festlegung eines äußeren Prüfbereich den Ländern überlassen.

Der Nahbereich soll laut dem Eckpunktepapier einen artspezifischen Tabubereich darstellen, damit sollen Windenergieanlagen in der Regel in diesem Bereich wohl artenschutzrechtlich nicht zulässig sein.

In den Prüfbereichen soll die Regelvermutung gelten, dass die Signifikanzschwelle überschritten ist. Diese Vermutung kann aber durch den Vorhabenträger auf Grundlage einer Habitatpotenzialanalyse widerlegt werden. Die in der Praxis häufig durchgeführte Raumnutzungsanalyse soll damit als Bewertungsgrundlage entfallen und nur noch in Einzelfällen auf Antrag des Vorhabenträgers durchgeführt werden.

Das durch das Vorhaben erhöhte Tötungsrisiko soll außerdem durch artspezifische Vermeidungsmaßnahmen unter die Signifikanzschwelle gesenkt werden können. Diese Vermeidungsmaßnahmen sollen in einer abschließenden Liste festgelegt werden. Beispielsweise genannt werden in dem Eckpunktepapier bereits Antikollisionssysteme und Abschaltungen aufgrund von Bewirtschaftungsereignissen im engeren Umkreis. Hinsichtlich weiterer saisonaler oder brutzeitbezogener Abschaltungen ist das Eckpunktepapier nicht ganz eindeutig: Auf der einen Seite soll es weitere saisonale oder brutzeitbezogene Abschaltungen nicht mehr geben, auf der anderen Seite sollen abschaltungsbezogene Vermeidungsmaßnahmen in der Ausnahme in einem begrenzten Umfang zulässig sein. Außerdem sollen dem Vorhabenträger Vermeidungsmaßnahmen (für alle artenschutzrechtliche Maßnahmen) nur bis zu 6 % der jährlichen Erzeugung und im Einzelfall (bei besonders windhöffigen Standorten) bis zu 8 % der jährlichen Erzeugung zumutbar sein.

Außerhalb der Prüfbereiche soll das Tötungsrisiko generell als nicht signifikant erhöht gelten und damit keine weiteren Prüfungen und auch keine Vermeidungsmaßnahmen erforderlich sein.

2.2 Ausnahmen

Gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG können im Einzelfall von den Verboten des § 44 BNatSchG Ausnahmen zugelassen werden. Ausnahmen für Windenergieanlagen wurden zwar immer wieder erteilt, zugleich aber teilweise sehr kritisch beurteilt. Insbesondere das Urteil vom 22.01.2020 des VG Gießen (Az. 1 K 6019/18.GI) hat hier bei Vorhabenträgern und Behörden Aufmerksamkeit erregt und zu Unsicherheiten geführt. Der Bundesgesetzgeber will dem nun damit begegnen, dass Anforderungen festgelegt werden, bei denen zukünftig eine Ausnahme ohne behördliches Ermessen zu erteilen ist.

2.2.1 Ausnahmegrund

Wie bereits im EEG-Referentenentwurf angelegt, wird auch im Eckpunktepapier statuiert, dass die erneuerbaren Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. Dies hat laut dem Eckpunktepapier zur Folge, dass damit der Ausnahmegrund des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG in der Regel vorliegt.

Gemäß § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG darf eine Ausnahme aber nur dann zugelassen werden, wenn zumutbare Alternative nicht vorliegen und sich der Erhaltungszustand der Population einer Art nicht verschlechtert. Sowohl bei der Alternativenprüfung als auch bei dem Verschlechterungsverbot des Erhaltungszustands werden von den Behörden teilweise sehr unterschiedliche Maßstäbe gesetzt, wodurch die Ausnahmeregelung in der Praxis mit großer Rechtsunsicherheit verbunden war.

2.2.2 Alternativenprüfung

Für Vorhaben in Gebieten, die gezielt für Windenergieanlagen ausgewiesen sind oder werden sollen, soll in Zukunft keine Alternativenprüfung notwendig sein, solange das Flächenziel von 2 % nicht erreicht ist. Unklar bleibt, auf welches Gebiet sich die Erreichung des Flächenziels von 2 % beziehen wird. Soll die Vorschrift so lange gelten, bis bundesweit 2 % der Fläche für Windenergie ausgewiesen ist? Für Vorhaben in Gebieten für die (noch) keine Planung vorliegt, soll ein klar umgrenzter Bereich festgelegt werden, in dem Alternativen zu prüfen sind. Begleitend sollen die Anforderungen an die Umweltprüfung bezüglich des Artenschutzes konkretisiert werden.

2.2.3 Erhaltungszustand der Population

Hinsichtlich des Erhaltungszustands der Population soll zukünftig vermutet werden, dass kein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot vorliegt, wenn für die betreffende Art zu erwarten ist, dass der Zustand der Population bundesweit (oder aber auch nur der lokale Populationszustand) einen positiven Trend aufweist oder sich zumindest bundesweit nicht verschlechtert. Außerdem soll in ein für diese Art bestehendes Artenhilfsprogramm eingezahlt werden und gegebenenfalls FCS-Maßnahmen durchgeführt werden.

Solange eine Art nicht auf einer Gefährdungsliste geführt wird oder wenn die Nicht-Gefährdung vom Bundesamt für Naturschutz festgestellt wird, sollte dies für die nächsten 3 Jahre als Nachweis der bundesweiten Nicht-Verschlechterung ausreichen. Für die Liste der kollisionsgefährdeten Vögel soll zeitnah festgelegt werden, ob diese in ihrem Bestand jeweils gefährdet sind. Nach 3 Jahren soll eine Validierung der Bestandsentwicklung erfolgen. Hierfür sollen Daten erhoben und den Genehmigungsbehörden zugänglich gemacht werden. Außerdem soll der wissenschaftliche Kenntnisstand zum Themenbereich Windenergie und Artenschutz gefördert werden.

2.3 Nachträgliche Anordnungen und Nisthilfen

Zur Unsicherheit der Planung führt auch die Sorge vor nachträglichen artenschutzrechtlichen Anordnungen durch die Behörde. Dieses Damoklesschwert kann Windenergievorhaben in ihrer Wirtschaftlichkeit unvorhergesehen treffen und zu einem wirtschaftlichen „Aus“ der Anlagen führen. Das Eckpunktepapier stellt klar, dass nachträgliche Anordnungen nur in Ausnahmefällen und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit für den Vorhabenträger möglich sein sollen.

Die Praxis, Nisthilfen für windkraftsensible Vogel- und Fledermausarten anzubringen, soll in dem für die jeweilige Art definierten Nahbereich verboten werden.

3. Repowering

Der neu eingeführte § 16b BImSchG, der das Repowering von Windenergieanlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien regelt, soll umstrukturiert werden. Die artenschutzrechtlichen Prüfungen sollen in das BNatSchG überführt werden und dort klargestellt werden, dass und wie genau die Berücksichtigung der Vorbelastung zu erfolgen hat. Außerdem sollen die gesetzlichen Regelungen durch Leitfäden des Bundes oder der Länder ergänzt werden. Für Repowering-Vorhaben sollen Alternativen in der Regel nicht zumutbar sein, auch nicht außerhalb von für Windenergie ausgewiesenen Gebieten. Außerdem sollen für Windenergieanlagen in artenschutzrechtlich hochsensiblen Gebieten Ausnahmen gelten und damit die Alternativenprüfung erheblich erleichtert werden.

4. Landschaftsschutzgebiete

Landschaftsschutzgebiete sollen vermehrt für die Planung von Windenergieanlagen in den Blick genommen werden. Angesichts der Tatsache, dass es in Deutschland knapp 9000 Landschaftsschutzgebiete gibt, welche bundesweit fast 1/3 der Landesfläche einnehmen, erscheint dieses Ziel sinnvoll. Dort sollen vermehrt Gebiete für Windenergie ausgewiesen werden.  Das Eckpunktepapier sieht – außer in Natura-2000-Gebieten, Weltkultur- und Weltnaturerbeflächen – zudem vor, dass es keiner zusätzlichen Ausnahme nach der Landschaftsschutzgebietsverordnung oder einer Befreiung nach § 67 BNatSchG bedarf, sofern im Landschaftsschutzgebiet bereits Windenergieanlagen planerisch vorgesehen sind. Damit sind voraussichtlich planerische Ausweisungen im Regionalplan oder Flächennutzungsplan gemeint. Bis zur Erreichung der Flächenziele sollen Windenergieanlagen auch außerhalb von den für die Windenergie ausgewiesenen Gebieten in Landschaftsschutzgebieten zulässig sein.

Für weitere Fragen stehen Ihnen die Mitglieder unserer Praxisgruppe Öffentliches Recht und dem Kompetenzteam Erneuerbare Energien gerne zur Verfügung.

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Ansprechpartnerin für Medienanfragen

Jennifer Wagener
Jennifer Wagener

Leitung Marketing, Business Development & Kommunikation

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