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Kapellmann vor dem EuGH erfolgreich: Richter bestätigen Nichtigkeit der Einstufung von Titandioxid als „vermutlich krebserregend"

04. August 2025

Der Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat in einer jahrelangen Auseinandersetzung zur Einstufung des Weißpigments Titandioxid ein wegweisendes Urteil des Gerichts der Europäischen (EuG) bestätigt und die Rechtsmittel der Europäischen Kommission und Frankreichs zurückgewiesen (verbundene Rechtssachen C-71/23 P und C-82/23 P). 

Die Kapellmann-Anwälte Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M.Dr. Christian Wagner und Valentine Lemonnier, LL.M. haben im Gerichtsverfahren die Rechtsmittelgegnerinnen, Klägerinnen und Streithelferinnen aus der deutschen und österreichischen Lack- und Farbenindustrie sowie aus dem Abfallsektor vertreten. 

Das EuG hatte in seinem Urteil vom 23. November 2022 in den verbundenen Rechtssachen T-279/20, T-283/20 und T-288/20 eine Delegierte Verordnung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2019 für nichtig erklärt, soweit sie die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung von Titandioxid in bestimmten Pulverformen als vermutlich krebserregenden Stoff beim Einatmen betrifft. Gegen die Delegierte Verordnung hatten gleich mehrere Unternehmen Nichtigkeitsklagen erhoben: zum einen deutsche und österreichische Hersteller von Lacken und Farben (Rechtssachen T-279/20 und T-288/20) zum anderen Hersteller von Titandioxid (T-283/20). Dem Verfahren schlossen sich klägerseitig weitere betroffene Unternehmen und Industrieverbände als Streithelfer an. Auf Seiten der Europäischen Kommission traten als Streithelfer das Europäische Parlament, der Rat, die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) sowie Dänemark, Frankreich, die Niederlande, Schweden und Slowenien auf.

Das EuG stellt seinem Urteil fest, dass die Europäische Kommission einen offensichtlichen Fehler bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit und der Anerkennung einer Studie begangen hatte, auf der die Einstufung als „vermutlich krebserregend“ beruhte. Außerdem stellte das EuG fest, dass die Europäische Kommission gegen das Kriterium verstoßen hat, wonach sich die Einstufung nur auf einen Stoff mit der intrinsischen Eigenschaft, Krebs zu erzeugen, beziehen darf.

Die Europäische Kommission und Frankreich hatten gegen das Urteil des EuG Rechtsmittel eingelegt. Da Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt sind, rügten sie insbesondere, dass das EuG die Grenzen der gerichtlichen Überprüfung überschritten hatte und seine eigene Beurteilung an die Stelle der Europäischen Kommission bzw. des Ausschusses für Risikobeurteilung (RAC) der ECHA gesetzt hatte.

Der Gerichtshof hingegen bestätigt in seinem Urteil vom 01. August 2025 im Wesentlichen die Bewertungen des EuG und weist die Rechtsmittel zurück. Das EuG habe keinen Rechtsfehler begangen, als es entschied, dass der RAC nicht alle für die Bewertung der für die Einstufung von Titandioxid maßgeblichen Studie berücksichtigt habe. Die zur Anforderung der „intrinsischen Eigenschaft“ erhobenen Rechtsmittel erachtet der Gerichtshof als nicht entscheidungserheblich. 

Damit ist die Feststellung der Nichtigkeit der Einstufung von Titandioxid durch das EuG rechtskräftig. 

Das „Titandioxid“-Verfahren, welches heute mit dem EuGH-Urteil abgeschlossen wurde, wird vielfach als Präzedenzfall gesehen, denn über den Sonderfall „Titandioxid“ hinaus sind die Feststellungen des EuG wie auch des EuGH für die Chemiebranche (aber darüber hinaus für die delegierte Gesetzgebungsbefugnis der Europäischen Kommission in anderen Bereichen) von hoher Relevanz. Die richterliche Prüfungskompetenz wird gestärkt, was zugleich bedeutet, dass die EU-Verwaltung und -Gesetzgebung ihre Entscheidungen (noch) sorgfältiger vorbereiten und begründen muss. Das Urteil hat daher eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, da es sich mit der Grundsatzfrage beschäftigt, wie weit die richterliche Prüfkompetenz bei komplexen Verwaltungsentscheidungen im EU-Recht reicht.

Kapellmann berät Unternehmen, Verbände und öffentliche Institutionen in allen Fragen des EU-Rechts, insbesondere zu regulatorischen Fragen des europäischen Binnenmarkts wie Produktsicherheit. Die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte des Brüsseler Büros vertreten ihre Mandantinnen und Mandanten regelmäßig gegenüber der Europäischen Kommission und vor den Unionsgerichten in Luxemburg.

Siehe auch:

  • Lemonnier, Interview des Verbändereports zum Thema „Interessenvertretung in der EU über das Gesetzgebungsverfahren hinaus?“, Verbändereport Ausgabe 3/2023
  • van der Hout/Lemonnier, EuG erklärt Einstufung von Titandioxid als vermutlich krebserregend unter die CLP-Verordnung für nichtig – Besprechung des Urteils EuG, 23.11.2022 in den verb. Rs. T-279/20, T-283/20 und T-288/20, StoffR 1| 2023, S. 37-41

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Ansprechpartnerin für Medienanfragen

Jennifer Wagener
Jennifer Wagener

Leitung Marketing, Business Development & Kommunikation