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Auswirkungen der „Wohnbauturbo“-Instrumente auf kommunale Baulandmodelle und städtebauliche Verträge

11. November 2025

Die jüngsten Anpassungen im Bauplanungsrecht zur Beschleunigung des Wohnungsbaus erweitern die Zulassungspfade für Wohnbauvorhaben. Im Zentrum stehen erweiterte Abweichungs- und Befreiungsinstrumente im Genehmigungsverfahren, die der Bauaufsichtsbehörde nur bei vorheriger Zustimmung der Gemeinde offenstehen. Maßgeblich sind insbesondere die Möglichkeit der Abweichung vom Einfügungsgebot im unbeplanten Innenbereich (§ 34 Abs. 3b BauGB), die Erweiterung der Möglichkeiten zur Befreiungen von Festsetzungen bestehender Bebauungspläne zugunsten des Wohnungsbaus (§ 31 Abs. 3 BauGB) sowie die befristete Experimentierklausel (§ 246e BauGB). Konkretisiert wird das Zustimmungserfordernis der Gemeinde in § 36a BauGB, der zusätzlich eine Zustimmungsfiktion nach drei Monaten vorsieht, wobei die Zustimmung verfahrensrechtlich als unselbstständige Zwischenentscheidung im bauaufsichtlichen Verfahren qualifiziert ist. 

Vor diesem Hintergrund erweitern sich die Möglichkeiten für die Anknüpfung für städtebauliche Verträge im Rahmen kommunaler Baulandmodelle: Neben der Konstellation der Aufstellung/Änderung eines Bebauungsplans sollten Modelle künftig auch Konstellationen adressieren, in denen die (planungsrechtliche) Genehmigungsfähigkeit erst durch gemeindliche Zustimmung im Einzelfall oder für mehrere gleichgelagerte Fälle eröffnet wird. Gleichwohl bleiben die bekannten materiell‑rechtlichen Grenzen, insbesondere das Kopplungsverbot und die Angemessenheit der Leistungen, voll wirksam. 

1. Verschiebung der Anknüpfungspunkte: Vom Bebauungsplan zur gemeindlichen Zustimmung im Genehmigungsverfahren

Die neuen Instrumente etablieren genehmigungsrechtliche „Fast‑Tracks“, die die Schaffung von Wohnraum ohne parallel geführte Bebauungsplanverfahren ermöglichen, sofern die Gemeinde zustimmt:

  • Im unbeplanten Innenbereich (§ 34 Abs. 3b BauGB) kann – zugunsten der Wohnraumversorgung – vom Einfügungsgebot abgewichen werden. Die Genehmigungsbehörde prüft die Tatbestandsvoraussetzungen; Voraussetzung ist zusätzlich die vorherige Zustimmung der Gemeinde. 
  • Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans (§ 31 Abs. 3 BauGB) werden Befreiungen zugunsten zusätzlicher Wohnnutzung spürbar erleichtert; allerdings ist die Abweichung nur mit gemeindlicher Zustimmung möglich.
  • § 246e BauGB eröffnet bis zum 31. Dezember 2030 – wiederum zustimmungsgebunden – weitergehende Abweichungen von Vorschriften des BauGB oder davon erlassenen Vorschriften (einschließlich BauNVO, Bebauungsplänen, Erhaltungssatzungen), sofern die öffentlichen Belange (unter Würdigung nachbarlicher Interessen) gewahrt bleiben und das Vorhaben der Wohnraumversorgung dient. 

Die Zustimmung der Gemeinde ist dabei verfahrensrechtlich eine Zwischenentscheidung ohne eigenständige Außenrechtswirkung. Rechtsbehelfe sind ausschließlich gegen die abschließende bauaufsichtliche Entscheidung statthaft. Das praktische Ergebnis ist gleichwohl bedeutsam: Die Genehmigungsfähigkeit kann faktisch erst durch die gemeindliche Zustimmungsentscheidung hergestellt werden. Kommunale Baulandmodelle müssen folglich neben planbezogenen Kooperationspfaden auch zustimmungsbezogene Pfade im Genehmigungsverfahren definieren, die städtebauliche Verträge im Vorfeld bzw. begleitend zur gemeindlichen Zustimmung strukturieren. 

2. Konsequenzen für städtebauliche Verträge: Kopplungsverbot und Angemessenheit bleiben Maßstab

Auch wenn sich der verfahrensrechtliche Anknüpfungspunkt verlagert, gelten die materiellen Vertragsgrenzen unverändert:

  • Das Kopplungsverbot verlangt einen inneren sachlichen Zusammenhang zwischen der zugrunde liegenden behördlichen Handlung und der vertraglich vereinbarten Leistung. Im Kontext zustimmungsgebundener Genehmigungsverfahren bedeutet dies: Vereinbart werden dürfen nur Leistungen, die Voraussetzung oder unmittelbare Folge des konkreten Wohnbauvorhabens sind und städtebaulich motiviert werden können. Leistungen mit bloß fiskalischem oder sachfremdem Zweck sind ausgeschlossen. Ein Anspruch des Vorhabenträgers auf die behördliche Zustimmung besteht nicht; die Gemeinde darf sich zu dieser auch nicht vertraglich verpflichten.
  • Die Angemessenheit (§ 11 Abs. 2 BauGB) erfordert auch hier eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung sämtlicher Vertragsumstände. Maßstab ist – in bebauungsplanbezogenen Konstellationen – regelmäßig die planungsbedingte Bodenwertsteigerung. In zustimmungsbezogenen Genehmigungspfaden tritt an die Stelle der „planungsbedingten“ Wertsteigerung der durch die Befreiung/Abweichung vermittelte wertsteigernde Vorteil; jedenfalls darf die Gegenleistung die Vorteile des Vorhabenträgers und die kausal durch das Vorhaben ausgelösten Kosten nicht überschreiten. Bindungen (Mietpreis-/Belegungsbindungen) wirken als wirtschaftliche Belastung und sind in der Angemessenheitsprüfung auch hier mindernd zu berücksichtigen. Pauschalierungen sind nur tragfähig, wenn sie sachgerecht, belegbar und transparent hergeleitet sind.

Verträge, die die Grenzen überschreiten (fehlender Kausalzusammenhang, unangemessene Belastung), sind nichtig. Die Kopplung einer gemeindlichen Zustimmung an eine unzulässige Gegenleistung ist rechtlich verwundbar und gefährdet die spätere Genehmigungsentscheidung.

3. Verfahrensgestaltung und Zustimmungsarchitektur: Anforderungen an Gleichbehandlung und Dokumentation

Die Wirksamkeit der Turbo‑Instrumente hängt auch in Baulandmodellen von der gemeindlichen Zustimmung ab, deren Fiktion nach drei Monaten eintritt, sofern die Zustimmung nicht (rechtzeitig) versagt oder von Bedingungen abhängig gemacht wird. Dies erzeugt erhöhte Anforderungen an:

  • Transparenz, Gleichbehandlung und Standardisierung der Prüfkriterien für Zustimmungsentscheidungen, einschließlich der städtebaulichen Rechtfertigung, Umweltbelange in überschlägiger Prüfung, Infrastrukturfolgen und Nachbarschaftsverträglichkeit.
  • Verfahrensdisziplin und Fristenmanagement, um Zustimmungsfiktionen nur dort eintreten zu lassen, wo eine positive Entscheidung intendiert ist, und um Bedingungen rechtssicher zu fassen.
  • Dokumentation der Kausalität der vereinbarten Leistungen zu den Voraussetzungen/Folgen der konkret beabsichtigten Abweichungszulassung sowie der Angemessenheitsbeurteilung im Einzelfall.

Die Zustimmung selbst ist nicht mit Rechtsbehelf angreifbar; die gerichtliche Kontrolle erfolgt über das Baugenehmigungsverfahren. Umso wichtiger ist die saubere Aktenlage zu Kausalität und Angemessenheit, damit die Genehmigung im Streitfall Bestand hat.

4. Erste Praxisempfehlungen für die Anpassung von Baulandmodellen

Die neuen zustimmungsbezogenen Genehmigungsmöglichkeiten verlangen eine gezielte Fortentwicklung bestehender Modelle. Für Projektentwickler und Gemeinden empfehlen sich u. a. folgende Anpassungen:

  • Prozessmodule für Zustimmungsfälle definieren: Baulandmodelle sollten ein eigenes „Zustimmungsmodul“ vorsehen, das die Fallgruppen § 34 Abs. 3b, § 31 Abs. 3 und § 246e BauGB abdeckt. Dieses Modul sollte Zuständigkeiten, Prüfkriterien und Verfahrensschritte mit Fristen nach § 36a BauGB festlegen und die Voraussetzungen städtebaulicher Verträge bei Zustimmungskonstellationen beschreiben. Eine Fast‑Track‑Spur mit standardisierten Unterlagen (städtebauliches Konzept, Immissionsschutz, Erschließung/Sozialinfrastruktur, Angemessenheitsgutachten) erhöht die Rechtssicherheit und die Gleichbehandlung.
  • Vertragsarchitektur an den Genehmigungspfad anpassen: Für Vorhaben ohne planparalleles Verfahren sollten städtebauliche Verträge klar als kooperative Verträge zur Sicherung von städtebaulichen Bedarfen resultierend aus den zu genehmigenden Vorhaben konzipiert werden. Empfehlenswert sind aufschiebende Bedingungen, Rücktritts- und Anpassungsklauseln bei Versagung oder geänderten Nebenbestimmungen sowie eindeutige Leistungsbeschreibungen mit Kausalitäts‑Nachweis, allerdings immer unter Beachtung des Kopplungsverbots. Bindungen, Konzeptvergaben und Kostenbeteiligungen sind nur zulässig, soweit sie städtebaulich motiviert und kausal sind; ihre wirtschaftlichen Effekte sind in der Angemessenheitsprüfung vollständig zu berücksichtigen.
  • Angemessenheit methodisch untermauern: Auch im Zustimmungsweg bedarf es eines belastbaren Maßstabs. Je nach Fallkonstellation bietet sich die Bodenwertmethode an, die den durch Befreiung/Abweichung vermittelten Nutzungs‑ und Wertvorteil quantifiziert; alternativ können projektspezifische Wirtschaftlichkeitsanalysen die Obergrenze der zumutbaren Belastung belegen. Pauschalansätze müssen auch hier durch Öffnungsklauseln für Einzelfall‑Nachweise ergänzt werden.
  • Strenge Kausalität und Kopplungsdisziplin: Leistungen dürfen ausschließlich Voraussetzungen oder Folgen der abweichungsbasierten Zulassung adressieren (z. B. anteilige Erschließung, soziale Infrastruktur, kompensationsrechtliche Maßnahmen, Schallschutz). Allgemeine fiskalische Beiträge ohne städtebauliche Kausalität sind zu vermeiden. Vertragsmuster sollten die Kopplungsgrenze explizit benennen und eine Kausalitätsdarstellung als Vertragsanlage verlangen. Anknüpfungspunkt darf auch hier nicht die Erteilung der Genehmigung sein.
  • Governance und Monitoring: Ein internes Zustimmungsregister mit Entscheidungsgründen, vereinbarten Leistungen und Angemessenheitsbewertungen erleichtert die Gleichbehandlung und spätere Evaluierung. Veröffentlichte Leitlinien zu Kriterien und Berechnungsmaßstäben fördern Transparenz und Akzeptanz.
  • Flankierende Rechtsthemen früh klären: Bei Konzeptvergaben und Zwischenerwerb sind Vergabe‑ und Beihilferecht zu prüfen; bei Lärmkonflikten sollten erweiterte Festsetzungsmöglichkeiten im Bebauungsplan (sofern planbezogen) und schlüssige Schutzkonzepte genutzt werden. Umweltbelange und Nachbarrechte sind – auch im Zustimmungsweg – substantiiert zu würdigen, da sie im Genehmigungsprozess entscheidungserheblich bleiben.

5. Fazit und Beratungshinweis

Der Wohnungsbau-Turbo öffnet neue, zustimmungsgebundene Genehmigungspfade: Abweichungen im unbeplanten Innenbereich und Befreiungen im Bebauungsplangebiet können mit Gemeindezustimmung die Genehmigungsfähigkeit herstellen, verlangen aber in Baulandmodellen auch weiterhin eine präzise Verfahrenslogik, strikt kausale und wirtschaftlich angemessene städtebauliche Verträge sowie belastbare Dokumentation. Wer diese Leitplanken konsequent beachtet, beschleunigt Projekte rechtssicher und wahrt Steuerungsziele. Unsere Praxisgruppe Öffentliches Baurecht und Immobilienrecht berät sowohl Gemeinden bei der Anpassung und Einführung von Baulandmodellen und begleitet Vorhabenträger bei der Verwirklichung ihrer Projekte in den neuen Genehmigungsverfahren – effizient, rechtssicher und lösungsorientiert. 

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