Was ist passiert?
Pünktlich zum Jahreswechsel hat der Bayerische Gesetzgeber das 2. Modernisierungsgesetz beschlossen. Ein Hauptzweck des Änderungspakets, das unter anderem auch die Bayerische Bauordnung (BayBO) in wichtigen Punkten reformiert, ist der Bürokratieabbau.
In diesem Zusammenhang hat der Bayerische Gesetzgeber Speicher überraschend als verfahrensfreie Vorhaben nach Art. 57 BayBO deklariert.
In Art. 57 Abs. 1 Nr. 4c BayBO n. F. heißt es konkret:
Verfahrensfrei sind (…) Anlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Wärme oder Elektrizität dienen und gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB zulässig sind, einschließlich Trafostationen und Speicher
Welche Speicher sind umfasst?
Die Formulierung des Gesetzes lässt Raum für Interpretation. Klar ist, dass zur öffentlichen Versorgung mit Energie dienende Anlagen, die als solche im Außenbereich privilegiert sind, verfahrensfrei gestellt werden. Unklar ist die Einordnung bzgl. Speicher in mehrfacher Hinsicht:
Erstens stellt sich die Frage, ob alle Speicherarten hiervon umfasst sein sollen, d.h. z.B. Elektrolyseure, Pumpspeicherkraftwerke, Großbatteriespeicher etc. Der Wortlaut macht hier keine Einschränkungen.
Gerade Großbatteriespeicher gehören zu den tragenden Säulen der Energiewende und ermöglichen es nicht nur, klimafreundlichen Strom zu speichern, sondern auch das gesamte Stromnetz zu entlasten und zu sichern. Die Planung von Großbatteriespeichern erlebt aktuell einen regelrechten Boom. So lagen Übertragungsnetzbetreibern zum Jahreswechsel 650 Anschlussanfragen mit insgesamt 226 Gigawatt für Großbatteriespeicher vor.¹ Angesichts dieses Booms gehen wir davon aus, dass Großbatteriespeicher als prominente Vertreter von „Speichern“ jedenfalls unter den Anwendungsbereich fallen.
Zweitens ist unklar, ob sämtliche eigenständige Speicher oder nur „Trafostationen und Speicher“, also Speicher nur bei gemeinsamer Errichtung mit Trafostationen vom Anwendungsbereich des Art. 57 Abs. 1 Nr. 4c BayBO n. F. umfasst sein sollen. Vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Gesetzes, Bürokratie abzubauen, müssen auch eigenständige Speicher umfasst sein, da Speicher als Nebenanlagen zu Trafostationen ohnehin von deren Einordnung als verfahrensfreies Vorhaben mitgezogen werden würden.
Drittens ist fraglich, ob Speicher dann pauschal von der Verfahrensfreiheit umfasst sind oder nur, wenn sie gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB zulässig sind, also die Eigenschaft als privilegierte Anlage zur öffentlichen Wärme- und Stromversorgung aufweisen. Gerade bei Großbatteriespeichern ist die Einordnung als privilegiertes Vorhaben gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB umstritten, auch wenn mehr und überzeugendere Argumente für eine solche Einordnung sprechen.
Sind also nur solche Speicher verfahrensfrei, die unter den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB subsumiert werden können?
Gegen eine solche Auslegung spricht bereits die Interpunktion der Vorschrift, welche Trafostationen und Speicher – durch ein Komma getrennt – nach Nennung der privilegierten Versorgungsanlagen „hinter die Klammer zieht“. Verstärkt wird dies durch den abweichenden Satzbau in Art. 57 Abs. 1 Nr. 4b BayBO. Hier werden unter anderem Anlagen, die „der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität einschließlich Trafostationen (…) dienen, mit einer Höhe bis zu 5 m und einer Fläche bis zu 10 m²“, verfahrensfrei gestellt. Die hier umfassten Trafostationen („einschließlich“) werden ohne Komma direkt hinter die der Versorgung mit Elektrizität dienenden Anlagen gestellt und sind damit automatisch von dem Anlagenbegriff umfasst. Der Gegenschluss spricht dafür, dass die Trafostationen und Speicher im neuen Art. 57 Abs. 1 Nr. 4c BayBO nicht als privilegiert eingeordnet werden müssen, um verfahrensfrei zu sein. Ob der Gesetzgeber alle Trafostationen und Speicher, unabhängig von ihrer bauplanungsrechtlichen Grundlage, verfahrensfrei stellen wollte, kann derzeit mangels veröffentlichter Gesetzesbegründung nicht beurteilt werden. Insoweit ist fraglich, wie viel Gewicht den oben dargestellten Argumenten des Satzbaus und der Zeichensetzung bei der Auslegung der Norm zukommen kann.
Was bedeutet Verfahrensfreiheit?
Sind Speicher aber nun als verfahrensfreie Vorhaben einzuordnen, bedeutet das, dass diese Vorhaben grundsätzlich an überhaupt kein förmliches Verfahren vor den Baubehörden gebunden sind. Auch ist keine Anzeige oder Ähnliches notwendig; der Bauherr kann ohne behördlichen Akt mit dem Bau des Vorhabens beginnen. Andere ggf. erforderliche Genehmigungen (z. B. nach dem BNatSchG oder den Waldgesetzen) sind weiterhin separat und auf eigenes Betreiben des Vorhabenträgers einzuholen.
Verfahrensfreiheit bedeutet allerdings nicht Rechtsfreiheit. Eine bauliche Anlage muss trotz ihrer Verfahrensfreiheit in vollem Umfang dem geltenden (Bau-) Recht entsprechen. Ist dies nicht der Fall, stehen der Behörde ggf. bauordnungsrechtliche Maßnahmen zum Einschreiten offen.
Durch das Fehlen eines behördlichen Verfahrens bzw. einer formalisierten Mitwirkung seitens der Behörde findet eine Risikoverlagerung hinsichtlich der Einhaltung des Baurechts zulasten des Vorhabenträgers statt: Er muss selbst dafür sorgen, dass das Vorhaben baurechtskonform ist. Dies ist angesichts der massiven Investionssummen für die Vorhabenträger von z. B. Großbatteriespeichern nicht unbedingt vorteilhaft.
Besteht weiterhin die Möglichkeit einen Vorbescheid zu beantragen?
Dies gilt umso mehr, da durch die Einordnung als verfahrensfreies Vorhaben auch die Abklärung bestimmter besonders relevanter Fragen durch einen Vorbescheid nicht mehr möglich ist. Bisher wurde häufig die Frage der Privilegierung bei Großbatteriespeichern mittels Vorbescheids geklärt. Diese Möglichkeit besteht nun nicht mehr. Bereits erteilte Vorbescheide werden für das nun nicht mehr durchzuführende Baugenehmigungsverfahren funktionslos. Darüber hinaus kommt solchen Vorbescheiden aber weiterhin ein ermessensrelevanter Aussagegehalt zu.
Entlastung der Behörden?
Die beabsichtigte Entlastung der Baubehörden erweist sich aufgrund der hohen Investitionsvolumen wahrscheinlich als Pyrrhussieg. Zwar wurde das förmliche Verfahren für Großbatteriespeicher abgeschafft, jedoch ist es wahrscheinlich, dass die Vorhabenträger die sich daraus ergebende Unsicherheit zurück an die Behörden spielen. Es ist zu erwarten, dass Vorhabensträger nach wie vor die intensive Abstimmung – vermutlich sogar mehr als zuvor – mit den Behörden suchen werden, um das faktische und rechtliche Risiko eines späteren bauordnungsrechtlichen Einschreitens zu minimieren. Ob dies unterm Strich tatsächlich zu einer Entlastung der Behörden führt, bleibt abzuwarten.
Wie ist die Verfahrensfreiheit zu bewerten?
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Schlussendlich bringt die Verfahrensfreiheit für die Vorhabenträger bei den Investitionsvolumen von Großbatteriespeichern mehr Nachteile als Vorteile und setzt am falschen Punkt an. Nicht die Notwendigkeit eines Verfahrens an sich, stellt das Problem für die Vorhabenträger dar, sondern Länge und Aufwand der Verfahren, sowie die rechtliche Unsicherheit hinsichtlich des Vorliegens einzelner Zulässigkeitsvoraussetzzungen, wie die Frage nach der Privilegierung.
Das komplette Verfahrensrisiko auf Vorhabenträger zu übertragen, hemmt die Umsetzung der für die Energiewende so wichtigen Großbatteriespeicher möglicherweise mehr als sie nutzt.
Vorzugswürdiger wäre aus Sicht der Branche, endlich auf Bundesebene eine eigenständige Privilegierung für Großbatteriespeicher zu schaffen.