EU-Kommission legt Reformpaket zur Stärkung des europäischen Bau- und Dienstleistungsmarkts vor
Am 21. Mai 2025 hat die Europäische Kommission ihre neue Binnenmarktstrategie mit dem Titel „The Single Market: our European home market in an uncertain world – A Strategy for making the Single Market simple, seamless and strong“ vorgestellt. Die deutsche Übersetzung könnte lauten: „Der Binnenmarkt: unser europäischer Heimatmarkt in einer unsicheren Welt – Eine Strategie, den Binnenmarkt einfacher, nahtloser und stärker zu gestalten“. Ziel ist es, den Europäischen Binnenmarkt unter anderem durch den Abbau regulatorischer Hürden zu stärken und maßgeblich kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) einen besseren Zugang zu neuen Märkten zu ermöglichen.
Im Rahmen ihres Strategiepapiers benennt die Kommission zehn besonders gravierende Hemmnisse für einen funktionierenden Binnenmarkt, die sogenannten „Terrible Ten“. Diese umfassen u. a. komplizierte und kostenintensive Verfahren zur Unternehmensgründung, unnötig komplexe EU-Vorgaben, mangelnde Anerkennung beruflicher Qualifikationen, stark abweichende und einschränkende Regulierungen im Dienstleistungsbereich auf nationaler Ebene, aufwendige Verfahren zur Entsendung von Arbeitskräften sowie die zögerliche und oftmals unzureichende Umsetzung von EU-Recht durch die Mitgliedsstaaten.
Die Strategie zielt auf eine umfassende Neustrukturierung des Binnenmarkts ab und legt dabei einen besonderen Schwerpunkt auf strategisch bedeutende Branchen wie das Bauwesen. Gerade für den grenzüberschreitenden Bausektor sind diese Hindernisse besonders einschneidend.
Fragmentierter Markt mit großen Potenzialen
Die Kommission hebt in ihrem Papier hervor, dass das Bauwesen rund 11 % des EU-Bruttoinlandsprodukts ausmacht, während weniger als 1 % der Bauleistungen grenzüberschreitend erbracht werden. Hier zeigt sich deutlich: Im Bausektor ist der Binnenmarkt bislang kaum verwirklicht. Die Gründe dafür, etwa die Vielzahl an nationalen Sonderregelungen, uneinheitliche Verwaltungsprozesse, schwerfällige Genehmigungsverfahren und die mangelnde Anerkennung beruflicher Qualifikationen, sind hinlänglich bekannt. Gerade kleine und mittlere Bauunternehmen, die über 95 % der Branche ausmachen, sind durch die Rechts- und Verwaltungskomplexität besonders stark belastet. Aus Sicht vieler Bauunternehmen übersteigen Aufwand und Risiken einer grenzüberschreitenden Tätigkeit derzeit die erwarteten wirtschaftlichen Vorteile.
Ein besonderes Augenmerk richtet die Kommission dabei unter anderem auch auf die uneinheitliche Vergabepraxis: So sind nicht-preisliche Zuschlagskriterien, etwa verbindliche CO₂-Vorgaben für Baustoffe, nach wie vor nicht harmonisiert. Während einige Mitgliedstaaten, wie Deutschland mit dem CO₂-Schattenpreis, verbindliche Vorgaben eingeführt haben, beschränken sich andere weiterhin auf unverbindliche Empfehlungen. Das Ergebnis ist ein Flickenteppich an Anforderungen, der Unternehmen vor praktische, rechtliche und wirtschaftliche Hürden stellt, wenn sie sich an Ausschreibungen in anderen EU-Staaten beteiligen wollen.
Geplante Gesetzesinitiativen für den Bausektor
Um diese strukturellen Defizite anzugehen, plant die Kommission gezielte sektorspezifische Gesetzgebung. Kernstück der Reform für den Bausektor ist der sogenannte Construction Services Act, dessen Vorlage für das vierte Quartal 2026 angekündigt ist. Er soll Berufszugangsvoraussetzungen vereinheitlichen, grenzüberschreitende Tätigkeit rechtlich stärker absichern und Genehmigungsverfahren vereinfachen. Ergänzt wird dieser Vorstoß durch die European Strategy for Housing Construction und den Affordable Housing Plan, die für das erste Quartal 2026 vorgesehen sind. Ziel ist es, Planungs- und Genehmigungsverfahren im Wohnungsbau zu vereinfachen. Besonders hervorgehoben wird auch die Rolle der öffentlichen Verwaltung, deren digitale Transformation im Bereich der öffentlichen Vergabe von Bauleistungen vorangetrieben werden soll – insbesondere durch den Einsatz spezifischer digitaler Werkzeuge wie Building Information Modeling (BIM).
Die Kommission rechnet mit beachtlichen wirtschaftlichen Effekten: Bereits eine Reduktion der Hürden im Bereich des Bausektors um 10 % könne laut Studien zu einer Erhöhung der Bruttowertschöpfung in der EU um rund 0,5 % führen.
Relevanz für das internationale Projektgeschäft
Gerade im internationalen Projektgeschäft ist die geplante Reform der EU von hoher praktischer Relevanz. Viele typische Probleme grenzüberschreitender Projekte, wie beispielsweise lange und komplexe Genehmigungsverfahren, fehlende Versicherbarkeit, divergierende ESG-Vorgaben oder komplizierte Nachweis- und Zulassungsverfahren, sollen durch die von der Kommission geplanten Initiativen gezielt angegangen werden. Bauverträge, insbesondere international verwendete Standardverträge wie FIDIC, werden sich künftig noch stärker an unionsrechtliche Vorgaben anpassen müssen. Wer internationale Bauprojekte vorbereitet, umsetzt oder rechtlich begleitet, sollte diese Entwicklungen daher sowohl mit Blick auf die Vertragsstruktur als auch auf die operative Projektabwicklung berücksichtigen.
Fazit
Es bleibt abzuwarten, wie das konkrete Vorhaben der Kommission ausgestaltet sein wird. Positiv ist jedoch, dass die bekannten Probleme nun systematisch angegangen werden sollen. Denn klar ist: Durch die bestehenden Hürden geht bislang erhebliches wirtschaftliches Potenzial verloren. Es ist an der Zeit, dass der Binnenmarkt endlich auch im Bauwesen Realität wird.
Bei Fragen zum Reformvorhaben stehen Ihnen die Mitglieder der Praxisgruppe Kartellrecht und EU-Recht gerne zur Verfügung und halten Sie selbstverständlich über alle relevanten Entwicklungen auf dem Laufenden.
Quelle